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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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bemerkenswert lebendig. Kann ich Sie nicht doch für meinen Vorschlag begeistern?«
    Eine Sekunde lang überlegte Amalie und blickte auf das Landtagsgebäude, das im Wechselspiel aus nächtlicher Dunkelheit und gelblich gleißendem Laternenschein schwerer und gravitätischer aussah als je bei hellem Tageslicht. Spontan warf sie ihre Bedenken über Bord und entschied:
    »Sie haben mich überredet. Ich bin dabei!«
    »Meine Liebe, Sie werden es nicht bereuen«, versprach Rebekka. »Es ist ein besonderes Erlebnis, die einzige echte Volksvertretung Preußens bei der Arbeit zu sehen.«
     
    »Mon Dieu! Eine solche Demütigung habe ich noch nie zuvor hinnehmen müssen!«, entrüstete sich Arthur de Gobineau.
    Jeremiah Weaver, der den Vortrag des Franzosen von einem unauffälligen Platz in der hintersten Ecke des Herkulessaals verfolgt hatte, konnte die Verstimmung seines Gastes verstehen. Die Reaktion der Zuhörer war recht frostig ausgefallen. In der Annahme, Gobineau auf diese Weise ein wenig besänftigen zu können, hatte Weaver ihn anschließend eingeladen, mit ihm im
Télémaque
zu speisen. Aber nichts, was das einzige französische Restaurant Karolinas zu bieten hatte, konnte Gobineau diesen ernüchternden Abend vergessen machen.
    »Als Sie mich zu dieser Vortragsreise einluden, Monsieur Weaver, erwähnten Sie nicht, dass mein Publikum zu einem beträchtlichen Teil aus
nègres
und
mulâtres
bestehen würde!«, klagte er. »Und die Weißen begriffen mit charakteristisch deutscher Unbeweglichkeit des Geistes die Brillanz und zwingende Logik meiner Darlegungen nicht.«
    »Ja, diesen Eindruck hatte ich allerdings auch«, stimmte Weaver ihm zu und wollte endlich etwas von dem Huhn Marengo essen, das verlockend duftend vor ihm auf dem Teller lag. Doch Gobineau wurde nicht müde, erbost zu lamentieren, so dass der Verleger die Gabel wieder sinken lassen musste.
    »Ich will sehr hoffen, dass nicht jeder der vierzehn anstehenden Abende so verläuft«, sagte der Franzose gekränkt.
    »Das wird ganz gewiss nicht der Fall sein, Monsieur de Gobineau«, versprach Weaver.
    Die Miene seines Tischgenossen hellte sich daraufhin hoffnungsfroh auf, doch setzte der Verleger diesem Stimmungsumschwung ein rasches Ende, indem er fortfuhr: »Es gibt nämlich keinen weiteren Vortrag. Das vereinbarte Honorar werde ich Ihnen selbstverständlich in vollem Umfange auszahlen. Sie können jederzeit nach eigenem Belieben die Heimreise antreten.«
    Gobineau starrte ihn fassungslos an. »Monsieur Weaver! Wenn das ein Scherz sein soll, so kann ich daran nichts Amüsantes finden.«
    Weaver legte die fleischigen Hände zusammen und blickte sein Gegenüber ernst an. »Ich scherze keineswegs. Natürlich bin ich Ihnen für Ihr Kommen zu größtem Dank verpflichtet und weiß zu schätzen, dass Sie die Beschwernisse der langen Reise auf sich genommen haben. Doch die Umstände lassen es mir ratsam erscheinen, Ihre sämtlichen Vorträge abzusagen.«
    »Unerhört!«, rief Gobineau aus. Erbost sprang er von seinem Stuhl auf und fluchte mit hochrotem Kopf: »
Maudit!
Niemals bin ich so beleidigt worden! Ich hätte gewarnt sein sollen, mich nicht einem unkultivierten, unzuverlässigen
ricain
anzuvertrauen!«
    Einen Strom von Verwünschungen ausstoßend, verließ er unter den entgeisterten Blicken der Gäste an den anderen Tischen das Restaurant. Weaver ließ dieser theatralische Abgang gänzlich ungerührt. Er war erleichtert, den Franzosen so geschwind losgeworden zu sein.
    Ein wenig bedauerte er, dass Gobineaus seit Monaten arrangierte Vortragsreise durch die Städte Karolinas nun doch nicht stattfinden würde. Immerhin hatte er persönlich den Franzosen eingeladen. Doch Kolowrath hatte darauf bestanden, sämtliche Agitation, die dem Schüren von Zwist und Unfrieden in Karolina diente, unverzüglich einzustellen. Der Österreicher wollte im Vorfeld des Großen Plans alles vermeiden, was die preußischen Behörden veranlassen könnte, ein verstärktes Augenmerk auf die englischsprachigen Bewohner South Carolinas zu haben. Und so wenig begeistert Weaver von dieser Maßnahme auch war, musste er sich doch eingestehen, dass Kolowrath mit seiner Vorsicht im Recht war. Sollten die Preußen doch glauben, die NeitherNors seien müde geworden. Sie würden ihren Irrtum schon noch früh genug erkennen.
    Mit einem flinken Blick aus den Augenwinkeln vergewisserte Weaver sich, dass ihn keiner der Umsitzenden beobachtete. Dann zog er den Teller mit Hummer Thermidor, den Gobineau

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