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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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käuflich zu erwerben.«
    Für einen Moment herrschte absolute Stille. Nur das leise Zischen der Gasflammen im Leuchter über dem Tisch war zu vernehmen.
    »Sie wollen … die
Great Eastern
kaufen?«, fragte Gooch ungläubig nach.
    »So ist es«, versicherte Weintraub und setzte hinzu: »Es ist mir natürlich bewusst, dass Ihr Unternehmen ein wenig glücklos im Betrieb des Schiffes war und täglich Einbußen hinnehmen muss. Doch seien Sie versichert, dass meinen Auftraggebern, deren Interessen ich hier vertrete, nichts ferner liegt, als Ihre finanzielle Lage ausnutzen zu wollen.«
    Gooch war anzusehen, dass es ihn drängte, sich nach der Identität dieser Auftraggeber zu erkundigen. Doch derartige Neugier wäre nicht nur eines Gentleman unwürdig gewesen, sie hätte auch einen Verstoß gegen die Grundsätze geschäftlicher Diskretion bedeutet. Er zügelte sich und erwiderte stattdessen: »Das ist dankenswert, Sir. Doch stellt sich die Frage, ob wir überhaupt willens sind, die
Great Eastern
zu veräußern, dieses einzigartige Wunder der Meere, dieses ehrfurchtgebietende Zeugnis englischer Ingenieurskunst, diesen Stolz Großbritanniens.«
    Ruhig hörte Weintraub sich Goochs Loblied auf das Schiff an. Ohne Hast holte er seine Brieftasche hervor, entnahm ihr ein gefaltetes Dokument und legte es vor sich auf den Tisch. Dann sagte er gelassen: »Gentlemen, ich bin bevollmächtigt, Ihnen ein Angebot über 25 000 Pfund zu unterbreiten. Dabei bleibt es ganz Ihnen überlassen, ob Sie diesen Scheck des Bankhauses Rothschild akzeptieren oder eine Auszahlung in Goldsovereigns binnen achtundvierzig Stunden vorziehen.«
    Stumm vor Verblüffung starrten die Direktoren auf das unscheinbare Stück Papier. Eine ganze Minute verrann, bevor Gooch schließlich die Kraft fand, sich zu räuspern und mit stockender Stimme zu antworten: »Sir, wir haben die Freude, Sie zum Erwerb des größten Schiffes der Welt zu beglückwünschen.«

30. November
    Verhaltener Applaus von der Art, den nachsichtige Theaterkritiker euphemistisch als höflichen Beifall zu bezeichnen pflegten, setzte ein, als Arthur de Gobineau sich nach beendetem Vortrag verneigte. Dass seine Ausführungen unter dem Publikum im Saal auf wenig Zuspruch trafen, nahm der schmächtige Franzose, der mit pomadisiertem schütterem Haupthaar und Kinnbärtchen an einen alternden Pariser Beau erinnerte, mit tapfer gewahrter Fassung auf. Verkniffen lächelnd verbeugte er sich mehrfach, während schon die ersten Anwesenden sich von ihren Plätzen erhoben und das spärlich tröpfelnde Händeklatschen versiegte.
     
    »Ein ausgemachter Idiot!«, zog Rebekka Heinrich ihr vernichtendes Fazit.
    »Idiot ist gar kein Ausdruck«, befand Amalie von Rheine. »So viel unausgegorenes, krauses Zeug auf einmal habe ich mein Lebtag noch nicht gehört.«
    Die beiden Frauen strebten durch das Vestibül dem Ausgang entgegen. Sie kamen nur recht langsam voran, denn die mit imitierten Marmorsäulen und einer kleinen Fontäne in der Mitte dekorierte Vorhalle war angefüllt mit Menschen, die gleichfalls das Gebäude verlassen wollten. An diesem Abend war der Herkulessaal von
Metzler’s Alcazar,
wo für gewöhnlich Konzerte stattfanden, bis auf den letzten Platz ausverkauft gewesen. Arthur de Gobineaus Name hatte zahlreiche Interessierte angezogen, die nun ein kollektives Bedürfnis nach frischer Luft zu verspüren schienen.
    Aus dem Gewirr der rings umher teils gedämpft, teils lebhaft geführten Gespräche konnte Amalie einige Satzfetzen heraushören. So vernahm sie, dass jemand Gobineaus Thesen rundheraus als Spinnerei abtat, ein anderer sich über die Unvereinbarkeit der Theorien mit der christlichen Lehre ereiferte und dann wieder jemand vermutete, der Franzose sei geisteskrank. Doch zwischen all diesen Fragmenten ablehnender Äußerungen drang etwas an ihr Ohr, das sie erschreckte. Es waren nur wenige Worte, die sie klar hören konnte, bevor die Stimme wieder im Durcheinander der Geräusche unterging. Doch diese Worte reichten völlig aus, ihr eine Gänsehaut zu verursachen:
… durchaus denkbar, dass etwas Wahres daran ist.
    Amalie atmete durch, als sie und die Direktorin endlich aus dem Portal ins Freie traten. Die Nacht war klar und schön, also beschlossen die Frauen, keine der am Straßenrand wartenden Droschken zu nehmen, sondern zu Fuß zu gehen. Sie schritten die Allee entlang, deren Palmenreihen und Häuserfronten durch die vielen harten Schatten, die das unnatürliche Gaslicht der

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