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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Mathildenruh aber war seine Lage. Obwohl nicht weit von Friedrichsburg, befand es sich doch versteckt abseits der Chaussee.
    Dass sich jemand aus Zufall hierher verirrte und unliebsame Beobachtungen machte, war höchst unwahrscheinlich.
    »Wie viel?«, erkundigte Levi sich bei dem neben ihm reitenden Grundstücksmakler.
    »Fünftausend Thaler, mein Herr«, lautete die prompte Auskunft. Als der Makler bemerkte, dass sein potentieller Käufer wegen dieses verdächtig niedrigen Preises stutzte, fühlte er sich bemüßigt, eilig zu erklären: »Ich will nicht verhehlen, dass ich mich glücklich schätzen würde, dieses Anwesen endlich veräußern zu können. Die Ehrlichkeit gebietet, dass ich Ihnen die Wahrheit offenbare: Sie sind seit dem Tode des alten Herrn Freese der erste Interessent. Das Gut ist schwer zu erreichen, wie Sie zweifellos festgestellt haben. Kaum jemand findet den Weg hierhin.«
    »Ich kaufe es«, entschied Levi. »Ungestörte Einsamkeit ist genau, wonach ich suche.«

London
    Gemessenen Schrittes, weder zu langsam noch zu eilig, ging der Mann durch die belebten Straßen der britischen Hauptstadt. Nicht ein einziges Mal musste er stehen bleiben, um sich zu orientieren und seinen Weg zu finden. Es war offensichtlich, dass er sich im Zentrum des weltumspannenden Empires bestens auskannte.
    Sein seidener Zylinder, der Gehstock mit dem silbernen Knauf und der erstklassige Mantel von zurückhaltendem englischen Schnitt zeigten, dass er eindeutig ein Gentleman war, der ganz in den britischen Gepflogenheiten aufging. Hingegen hatte die Art, wie er seinen dunklen Backenbart trug, etwas entschieden Kontinentales an sich. Doch das alleine reichte nicht aus, um ihn inmitten der geschäftig und rastlos in alle Richtungen strömenden Massen zu einer auch nur im Geringsten auffallenden Gestalt zu machen.
    Er schritt die Cannon Street hinab, deren Gehsteige ebenso mit Passanten verstopft waren wie die Straße mit Hansom-Droschken, Fuhrwerken und pferdegezogenen Omnibussen, die selbst auf ihren gefährlich schwankenden Dächern Passagiere auf ungeschützten Sitzbänken trugen. An einem klaren Tag hätte man am Ende der Straßenschlucht die hoch aufragende Kuppel der St.-Pauls-Kathedrale sehen können.
    Doch wie so oft lag auch heute dichter Nebel über London. Die feuchtkalte Herbstluft verband sich mit dem Rauch aus Tausenden und Abertausenden Kaminen, Fabrikschornsteinen und Lokomotiven zu einem milchiggrauen Gemenge , das sich über der Millionenstadt ausgebreitet hatte, in jeden Winkel kroch und manchem gar den Atem nahm. Der Himmel war den Augen entzogen und würde es noch auf Tage oder Wochen bleiben. Nirgendwo reichte der Blick weiter als höchstens hundert Yards, bevor Straßen, Häuserreihen und die sich unentwegt vorwärtsschiebenden Menschenmengen von schweren Nebelschwaden verschluckt wurden. Selbst die gewaltige Kathedrale im Mittelpunkt der Metropole war für jeden unsichtbar, der nicht unmittelbar vor ihren Mauern stand.
    Vor dem Geschäftshaus Cannon Street Nummer 90 blieb der Mann stehen. Eine blank polierte Messingplakette an der Säule neben dem Eingang bestätigte ihm, dass dies in der Tat der Sitz der Great Ship Company war. Er öffnete die Tür und ging hinein.
     
    »Gestatten Sie mir, Ihnen meinen Dank dafür auszusprechen, dass Sie sich so kurzfristig zusammengefunden haben, Gentlemen«, sagte er zu den acht Direktoren der Great Ship Company, die mit ihm um den großen runden Mahagonitisch saßen. Sein Englisch war fließend und entsprach in der Wortwahl dem, was man von einem kultivierten Menschen erwartete; sein schwerer teutonischer Akzent hingegen verriet mit jeder Silbe, dass Deutsch seine Muttersprache sein musste.
    »Wir entsprechen Ihrer Bitte um eine Unterredung mit dem allergrößten Vergnügen, Mr. Weintraub«, versicherte ihm Daniel Gooch, der Vorstandsvorsitzende der Reederei, dessen tiefschwarze Augenringe und faltenzerfurchte Stirn auf zahlreiche sorgenvoll durchwachte Nächte schließen ließen. »Wenn ich Ihr Schreiben richtig auslege, sind Sie daran interessiert, die
Great Eastern
zu chartern?«
    Weintraub schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Das ist nicht meine Absicht.«
    Die kurzzeitig in den Mienen der Direktoren aufleuchtende Hoffnung erlosch schlagartig wieder und wich einem Ausdruck abgrundtiefer Enttäuschung.
    Weintraub verfolgte ihre Reaktionen genau und ließ eine kurze rhetorische Pause verstreichen, ehe er weitersprach: »Vielmehr beabsichtige ich, das Schiff

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