Die Fahrt des Leviathan
zu verursachen, der den Brandstifter warnte und ihm am Ende womöglich genau die eine Sekunde Vorteil verschaffte, die den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachte. Noch einmal holte er tief Luft. Dann öffnete er sachte die Tür und schlich hinein.
Das Lagerhaus war angefüllt mit hoch aufgestapelten Baumwollballen, die wie Mauern zu beiden Seiten eines ausgesparten schmalen Mittelgangs aufragten. Und am Ende dieses Korridors machte Pfeyfer im fahlen Schein einer auf dem Boden abgestellten Handlaterne zwei von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidete, maskierte Gestalten aus, die halb mit dem Rücken zu ihm standen und ihn nicht bemerkt hatten. Einer der beiden zog gerade den Korken aus einer großen Flasche.
Hab’ ich euch erwischt!,
war Pfeyfers erster Gedanke. Kein Zweifel, das waren die Verursacher der Baumwollbrände. Und soweit er bei der dürftigen Beleuchtung feststellen konnte, trugen sie keine Waffen bei sich. Es war an der Zeit, diesen Leuten das Handwerk zu legen.
»Keine Bewegung!«, rief er gebieterisch. »Im Namen des Gesetzes, ihr seid arretiert!«
Die Vermummten fuhren erschrocken zusammen und erstarrten zu Bewegungslosigkeit. Den Degen zum Hieb bereit, näherte Pfeyfer sich ihnen, jederzeit bereit, eine Attacke abzuwehren.
»So ist es recht. Die Flasche abstellen und dann langsam umdrehen. Lasst euch bloß nicht einfallen, irgendwelche Dummheiten zu versuchen«, warnte er streng.
Beide taten wie geheißen und wandten sich herum, wahrnehmbar darauf bedacht, jede Bewegung zu vermeiden, die falsch gedeutet werden konnte. Der Major blieb in einigen Fuß Distanz vor ihnen stehen, hielt drohend die Degenspitze auf die Festgenommenen gerichtet und taxierte sie. Ihn erstaunte, dass diese zwei Männer von so schmächtiger Statur waren. Ansonsten konnte er nicht viel erkennen, da sie Wollmützen und vor die Gesichter gebundene schwarze Tücher trugen, so dass nur die Augen nicht verdeckt waren.
Mit einem Mal überkam Pfeyfer eine eigenartige Beklommenheit. Etwas schien ihm nicht zu stimmen. Doch was?
»Runter mit den Masken«, befahl er und gab dabei unbewusst seiner Stimme einen viel barscheren Klang als notwendig, um seine aufkeimende Nervosität zu überdecken.
Sie nahmen die Tücher ab.
Fassungslos erkannte Pfeyfer ihre Gesichter.
Vor ihm standen Rebekka Heinrich und Amalie von Rheine.
Auf beiden Seiten herrschte Sprachlosigkeit. Die Frauen sahen den Major mit einer Mischung aus nervöser Ungewissheit und eigensinnigem Trotz an. Pfeyfer, völlig erschlagen, erwiderte die Blicke in stummer Bestürzung, bis er endlich fähig war, das Schweigen zu überwinden.
»Sie?«, keuchte er verstört.
»Brillant bemerkt«, erwiderte Rebekka mit einem bissigen Tonfall, der aber bei aller Renitenz ihre beklommene Verlegenheit nur unvollkommen verbergen konnte.
Pfeyfer bemerkte nichts davon. Er war viel zu durcheinander. »Heißt das etwa – Sie beide haben diese ganzen Baumwollbrände gelegt?«
»Haben wir nicht«, stellte die Direktorin richtig. »Fräulein von Rheine bestand heute zum ersten Mal darauf, mir behilflich zu sein. Doch ansonsten gebe ich Ihnen recht. Alle Baumwolle, die in den vergangenen Wochen in Flammen aufging, habe ich angezündet.«
Rebekkas stolzes Geständnis war zu viel für Pfeyfer. Er musste sich hinsetzen. Der Major ließ sich auf eine der nahebei stehenden Kisten sacken und legte den Degen neben sich ab. »Aber warum?«, stöhnte er ratlos.
»Liegt das nicht auf der Hand? Ich verabscheue die Plantagenbesitzer von ganzem Herzen«, erklärte Rebekka eindringlich, mit Zorn und Entschlossenheit in der Stimme. »Wo ich nur kann, will ich verhindern, dass diesen dreckigen Lumpen auch nur ein Pfennig zukommt, an dem Blut und Schweiß ihrer Sklaven kleben. Aber das können Sie wohl nicht verstehen. Sie haben sicher keine Meinung. Sie lassen sich nur von der Felddienstordnung leiten.«
Pfeyfer sah Rebekka direkt an. Er fühlte sich erschlagen, doch er hatte genügend Kraft, um zu protestieren: »Sie denken sehr schlecht von mir. Ich hasse die Sklavenhalter. Ich hasse sie aus der Tiefe meiner Seele. Doch ich lasse mir von diesem Gefühl nicht mein Handeln diktieren.«
»Wozu sind Gefühle gut, wenn aus ihnen nie Taten entstehen?«
»Auf Taten wie die Ihren jedenfalls kann ich gut verzichten!«, rief Pfeyfer entnervt aus. Dass Amalie, die sich bislang zurückgehalten hatte, etwas sagen wollte, bemerkte er nicht. Der Offizier nahm die Mütze ab und fuhr sich aufgewühlt durch das
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