Die Fahrt des Leviathan
dunkle Kraushaar. »Wissen Sie überhaupt, in welche Bredouille Sie mich bringen, Fräulein Heinrich? Oh nein, das wissen Sie natürlich nicht. Ich müsste Sie festnehmen und dem Gericht übergeben, das wäre meine Pflicht. Aber Sie sind ein Protegé des Kronprinzen. Wenn herauskommt, dass er sein Vertrauen einer notorischen Brandstifterin geschenkt hat, wird das seinem Ansehen immensen Schaden zufügen. Er wird zum Gespött der Öffentlichkeit, Ihretwegen und meinetwegen!«
Er verbarg das Gesicht in den Händen und gab ein lang gezogenes, qualvolles Stöhnen von sich. Die Direktorin erkannte mit Erschrecken, in welchen Zwiespalt sie den Offizier gestürzt hatte. Betreten beteuerte sie, dass es nie Ihre Absicht gewesen sei, ihm derartige Schwierigkeiten zu bereiten.
Erneut wollte Amalie sich zu Wort melden, aber bevor sie einen Laut von sich geben konnte, hob Pfeyfer den Kopf wieder und schaute zu Rebekka auf.
»Sie stellen mich vor eine schwere Wahl«, sagte er gepresst. Der Klang seiner Stimme ließ erahnen, wie zerrissen er innerlich war. »Ich muss mich entscheiden, ob ich meine Pflicht verletzen oder der Krone schaden will. Gott, ich hätte nie gedacht, dass eine solche Konstellation überhaupt möglich ist!«
Er verfiel in gedrücktes Schweigen. Rebekka wollte etwas erwidern, aber sie konnte keinen Ton hervorbringen. Betroffenheit lähmte ihre Zunge.
Den unverhofften Moment der Stille nutzte Amalie, um endlich zu Wort zu kommen. Sie räusperte sich kurz, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und merkte leise an: »Herr Major, es ist mir wirklich unangenehm, dass wir Ihnen solche Kümmernis bereiten …«
»Kümmernis! Eine schöne Untertreibung«, schnaubte Pfeyfer düster.
»… doch Sie sollten die Kiste öffnen, auf der Sie sitzen. Oder eine der anderen«, führte die Lehrerin unbeirrt ihren Satz zu Ende.
So absurd deplatziert schien Pfeyfer dieser sinnlose Vorschlag, dass er darin einen Versuch vermutete, ihn zusätzlich zu seiner Zwangslage auch noch zu verspotten. »Haben Sie mir etwa nicht genügend Kalamitäten bereitet? Jetzt wollen Sie mich wohl noch dazu verleiten, dass ich mich grundlos an Privateigentum vergreife!«
»Ganz und gar nicht grundlos!«, widersprach Amalie vehement. »Sehen Sie doch, was auf den Kisten steht!
Fabrik landwirtschaftlicher Maschinen Südhoff & Cie., Rheine in Westfalen,
überall!«
»Ja. Und?«
»Herr Major, ich heiße nicht nur Rheine, ich komme auch von dort«, klärte sie ihn auf. »Es gibt da keine Firma namens Südhoff. Nicht in der Stadt, nicht in der weiteren Umgebung.«
Nun wurde Pfeyfer hellhörig. Das Dilemma, in dem er steckte, trat in den Hintergrund, als er die Bedeutung dieser Entdeckung erfasste. Gefälschte Aufschriften konnten nur bedeuten, dass etwas verschleiert werden sollte. Etwas Illegales, daran konnte kein Zweifel bestehen.
Schnell erhob er sich und begann, nach einem geeigneten Werkzeug Ausschau zu halten. Im Halbdunkel erkannte er in der Ecke einen ungeordneten Haufen von Gerätschaften, die vermutlich Nathaniel Weaver gehört hatten und für die sich nun niemand mehr zuständig wähnte. Zwischen einer nutzlosen Ansammlung von Hämmern, Schraubenziehern, verbeulten Blechbehältern und allerlei Metallteilen befand sich auch eine Brechstange, die Pfeyfer sogleich an sich nahm und an der vordersten der sechs großen Kisten ansetzte.
»Jetzt werden wir ja sehen«, meinte er, drückte mit Kraft das längere Ende der Stange hinab und stemmte den Deckel auf. Unter Quietschen und Knarren lösten sich die langen Nägel nach und nach aus dem Holz, bis Pfeyfer die Abdeckung anheben konnte. Rebekka und Amalie traten gespannt neben ihn.
Der Inhalt war unter einer dicken Lage Stroh verborgen, das Pfeyfer vorsichtig beiseiteschob. Noch konnte er nichts sehen, aber ihm stieg ein seltsam vertrauter Geruch in die Nase.
Etwas glänzte metallisch zwischen dem Stroh. Pfeyfer wischte die letzte Schicht Halme mit der Hand fort. Und jetzt sah er überwältigt, was die Kiste enthielt.
»Gewehre!«, rief Rebekka aus.
Der Major nickte. »Lorenz-Vorderlader«, präzisierte er. Dicht an dicht lagen sie nebeneinander, umgeben von jenem penetrant öligen Geruch, den Waffenfett verströmte. »Österreichisches Fabrikat. Zuverlässige Infanteriewaffen, wenn auch von weitaus langsamerer Schussfolge als unsere preußischen Dreyse-Hinterlader. Mir scheint, wir haben es hier mit der Ware eines Waffenhändlers zu tun, bestimmt für die Armee der
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