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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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des Gebäudes sechs Kisten europäischer Gewehre befinden, bestimmt für die Armee der südstaatlichen Insurgenten. Diese Waffen wurden als zivile Handelswaren getarnt und somit unter bewusster Irreführung der Behörden illegal in die Provinz gebracht«, teilte der Major den Reportern mit.
    Fontane ließ die Spitze des Bleistifts über das Papier fliegen und notierte sich jedes Wort, verpackt in den zusammenhanglosen Ösen und Häkchen atemloser Kurzschrift. »Aber wie können Sie einem anonymen Hinweis so viel Vertrauen schenken, dass Sie, ohne zu zögern, ein solches Aufgebot in Marsch setzen?«, wollte er wissen.
    Pfeyfer nahm den preußischen Journalisten streng ins Visier. »Haben Sie gedient?«
    »Selbstverständlich, Herr Major. Einjährig-Freiwilliger, Kaiser-Franz-Gardegrenadierregiment.«
    »Dann sollten Sie eigentlich wissen, dass es für einen Offizier kein Zögern geben darf«, belehrte Pfeyfer Fontane. Die Gelegenheit, einmal einen Angehörigen der hochmütigen Berliner Garderegimenter von oben herab über militärische Tugenden aufzuklären, war für ihn einfach zu verlockend. »Man muss entschlossen handeln, sobald sich der Gegner eine Blöße gibt. Eine tatenlos vergebene Chance ist unverzeihlich.«
    Clemens, der im Unterschied zum unablässig schreibenden Fontane nur gelegentlich einen kurzen Vermerk in seinem Büchlein machte, schien nicht überzeugt. »Oftmals erkennt man eine Chance erst, wenn sie keine mehr ist. Aber manchmal erkennt man auch Chancen, die nie welche waren«, gab er mit ironischem Unterton zu bedenken.
    »Ich darf Ihnen versichern, dass diese Chance sich als eine solche erweisen wird, Mr. Clemens«, entgegnete Pfeyfer pointiert. Für doppelbödige Bonmots hegte er keine große Wertschätzung.
    Ein Sergeant trat heran und meldete, dass die Eingangstür nunmehr geöffnet war.
    »Wurde auch Zeit«, meinte Pfeyfer. »Nehmen Sie sich drei Mann und gehen Sie hinein. Suchen Sie die Kisten, die ich Ihnen beschrieben habe.«
    »Zu Befehl, Herr Major!«, bestätigte der Sergeant, schlug mit einem harten Knallen die Hacken zusammen und machte kehrt, um die Order unverzüglich auszuführen.
    Pfeyfer wandte sich wieder den beiden Journalisten zu, erläuterte ihnen die Notwendigkeit, jedem Versuch, preußische Behörden irrezuführen, unnachsichtig entgegenzutreten, und verstand es, Clemens’ zweideutig formulierte Bemerkungen als geschickt ausgelegte Fallstricke wahrzunehmen, ehe sie ihn zum Stolpern bringen konnten. Fontane erwies sich in dieser Hinsicht als weit weniger anstrengend, da er sich auf das Zuhören und nimmermüde Anfertigen von Notizen beschränkte.
    Der hartnäckige Amerikaner konterte Pfeyfers sämtliche Versuche, das Gespräch in genehme Bahnen zu lenken, indem er beharrlich das Thema ansprach, das ihn am meisten interessierte.
    »Wie können Sie sich Ihrer Sache so gewiss sein?«, fragte Samuel Clemens zweifelnd. »Was, wenn alles sich als Irrtum herausstellt?«
    »Das Wort Irrtum kommt in der Felddienstvorschrift nicht vor«, klärte Pfeyfer ihn in vollem Ernst auf.
    In diesem Moment kehrte der Sergeant zurück. Er nahm Haltung an und rapportierte: »Nichts, Herr Major.«
    Pfeyfer verstand den Sinn der Meldung nicht recht und blickte ihn irritiert an. »Nichts? Was meinen Sie damit? Drücken Sie sich deutlicher aus!«
    »Bitte um Vergebung, Herr Major. Im Lagerhaus befinden sich keine Kisten. Nur Baumwollballen.«
    Ein sehr ungutes Gefühl überkam Pfeyfer.
     
    * * *
     
    Die Wut verlieh den scharfkantigen indianischen Gesichtszügen des Generals etwas unheilvoll Raubvogelartiges. Obgleich er mit seinen fünf Fuß und zwei Zoll erheblich kleiner war als Pfeyfer, schien es dem Major, als sähe er sich einem zornbebenden Giganten gegenüber, der ihn weit überragte.
    Und das, obwohl Adalbert von FliegenderSchwarzer-Adler hinter seinem großen Schreibtisch saß, während Pfeyfer in Habachtstellung davor stehen musste.
    »Ich darf Ihren vorläufigen Bericht demnach so verstehen, dass Sie diese Durchsuchung allein aufgrund eines anonymen Hinweises angeordnet haben, Major?«, fragte der General mit unterdrücktem Ärger in der Stimme.
    »Jawohl, Herr General«, bestätigte Pfeyfer. Er fühlte sich nicht gut. Doch er musste Haltung wahren, wenn er sich nicht vollends disqualifizieren wollte.
    »Eine obskure Auskunft von nebulöser Herkunft ist für Sie also Grund genug, sofort Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen?« Der General schlug mit der Faust so fest auf den Tisch,

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