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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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die
Great Eastern
investiert. Von der glücklichen Fahrt des Schiffes hängt es ab, ob ich aus diesem Wagnis respektablen Profit ziehe oder einen empfindlichen Verlust erleide. Nun ist es leider so, dass der ausgezeichnete Kapitän Paton aus persönlichen Gründen vorzeitig nach England zurückkehren muss und daher nicht mehr zur Verfügung steht.«
    »Das ist ausgesprochen bedauerlich«, log Täubrich ungeniert. Er nahm die Ausführungen Weavers ohne besondere äußerliche Reaktion hin; doch der Name des Schiffes hatte ihn aufhorchen lassen. War dies eine Chance, Amalies Bitte nachzukommen und den Verleger über die wahre Bestimmung des Dampfers auszuhorchen?
    »In der Tat. Doch wir hatten Fortune und konnten einen erstklassigen Seeoffizier verpflichten, an seiner statt das Kommando über die
Great Eastern
zu übernehmen. Sein Name wird Ihnen sicherlich vertraut sein, Doktor. Ich spreche von Captain Augustus Hendricks.«
    »Augustus Hendricks?«, wiederholte Täubrich staunend. »Es hieß doch in den Zeitungen, er sei vor den Bahamas ganz schrecklich zugerichtet worden, verstümmelt fast jenseits des Vorstellbaren.«
    »Er wurde recht schwer verletzt, gewiss. Doch dank der Kunst Ihrer Standeskollegen konnte sein Leben bewahrt werden. Seine Wunden sind verheilt und die Gelegenheit, das berühmteste Schiff der Welt zu kommandieren, wollte er sich um keinen Preis entgehen lassen.«
    Täubrich gab sich beeindruckt von der außergewöhnlichen Konstitution und Willensstärke des Kapitäns. Es grenzte schier an ein Wunder, dass ein Mensch derart grauenhafte Verletzungen überlebte und auch nicht an den Qualen der nachfolgenden Wochen und Monate zugrunde ging. Doch noch immer hatte Weaver seine eigentliche Absicht nicht offengelegt und die einzelnen Elemente fügten sich in Täubrichs Kopf zu keinem sinnvollen Bild, wie er sie auch anordnete und durch Mutmaßungen zu verbinden versuchte.
    »Leider bereiten die Folgen seiner Verwundungen dem heroischen Kapitän bisweilen Ungelegenheiten«, erklärte Weaver weiter. »An Land verspürt er keine Beeinträchtigungen, doch sobald er auf See ist, plagen ihn die verheilten Wunden mit fürchterlichen Schmerzen, die nur durch Injektionen von Morphium zu stillen sind.«
    »Solche Injektionen sind nicht ohne Risiko und sollten ausschließlich durch Mediziner vorgenommen werden«, merkte Täubrich an.
    Weaver nickte. »Sehr richtig, Herr Doktor. Und aus diesem Grunde möchte ich Ihnen die Position des Schiffsarztes für diese eine Fahrt anbieten. Ihr Honorar, sollten Sie akzeptieren, betrüge eintausend Thaler.«
    Für einen Moment wurde Täubrichs gleichmütige Gelassenheit brüchig. Der phantastisch hohe Betrag sorgte dafür, dass ihm die Worte fehlten. Erst nachdem er sich durch ein vorgetäuschtes Husten die nötige Zeit erkauft hatte, um sich wieder halbwegs zu fassen, konnte er entgegnen: »Eintausend – das ist sehr viel Geld, Herr Weaver.«
    »Wenig im Vergleich zu dem, was ich vielleicht verliere, wenn Kapitän Hendricks auf hoher See von Schmerzen übermannt einen Navigationsfehler begeht, mein verehrter Doktor«, legte ihm der Verleger dar.
    So stichhaltig die Begründung auch war, das Ansinnen kam Täubrich spanisch vor. Er wusste nur zu genau, dass Weaver ihn eigentlich nicht ausstehen konnte und ihn nur als Hausarzt gewählt hatte, weil er sich aufgrund seiner geringen Berufserfahrung mit weniger Honorar als andere Mediziner zufriedengeben musste. Wie vertrug sich das mit einem so großzügigen Angebot?
    Täubrich ahnte, dass mehr dahinterstecken musste, und wollte der Sache auf den Grund gehen.
    »Unter so vielen Standeskollegen, von denen mir doch nicht wenige nach Fähigkeiten und Ruf fraglos überlegen sind, fiel Ihre Wahl auf mich. Das ist eine außerordentliche Ehre«, erwiderte er in betonter Bescheidenheit, in der Hoffnung, auf diese Weise etwas aus Weaver herauszukitzeln, was Aufschluss über seine wahren Motive gab.
    »Aber, aber, hochgeschätzter Herr Doktor! Sie stellen Ihr Licht ganz zu Unrecht unter den Scheffel«, versicherte ihm Weaver lebhaft. »Niemand weiß doch besser als ich, dass Sie den besten Ärzten der Stadt ebenbürtig sind.«
    Und billiger obendrein, du Heuchler,
dachte Täubrich zynisch.
    Der Verleger machte einen Fingerzeig auf das kleine Ölgemälde des Segelboots
Aurora,
das neben dem lebensgroßen Querschnitt des menschlichen Leibes an der Wand hing. »Hinzu kommt, dass Ihnen Meer und Seefahrt nicht fremd sind, wie jedermann weiß. Sie

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