Die Fahrt des Leviathan
können sich also mit den kleinen Inkommoditäten der Reise besser arrangieren als so mancher allein ans Leben auf dem festen Lande gewöhnte Mediziner.«
Das ist es also. Er findet keinen anderen, der seine Praxis sechs Wochen lang dichtmachen will, nur um kotzend über der Reling zu hängen,
glaubte Täubrich die Beweggründe des Verlegers durchschaut zu haben.
»Wann soll die
Great Eastern
denn ihre Fahrt nach Europa antreten?«, fragte er und gab sich dabei den Anschein, in seinem Entschluss noch zu schwanken. In Wahrheit hatte er schon eine Entscheidung getroffen.
»Gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres, sofern keine Verzögerungen eintreten. Sie würden selbstverständlich beizeiten über das genaue Datum in Kenntnis gesetzt werden.«
»Das kommt mir sehr entgegen. Ich werde Ihnen als Schiffsarzt zur Verfügung stehen«, sagte Doktor Täubrich zu. »Doch möchte ich Sie ersuchen, die Hälfte meines Honorars vorab zu entrichten. Mir ist dieses jeder Etikette zuwiderlaufende Ansinnen äußerst peinlich. Nur habe ich diverse Außenstände zu tilgen und will nicht durch meine Abreise in den Verdacht geraten, mich meinen Verpflichtungen zu entziehen.«
»Verehrter Doktor, keinem Mann braucht es peinlich zu sein, seinen Namen frei von Makel halten zu wollen. Seien Sie meines vollen Verständnisses gewiss. Ich lasse Ihnen das Geld morgen zukommen«, versprach Weaver mit generösem Gestus.
Die beiden Männer erhoben sich und besiegelten mit einem Handschlag über den Tisch hinweg die getroffene Übereinkunft. »Ich darf Sie meiner zutiefst empfundenen Dankbarkeit versichern«, ließ Täubrich den Verleger wissen.
»Oh nein, ich bin es, der zu danken hat«, hielt Weaver entgegen. Für den unendlich kurzen Bruchteil eines Augenblicks zuckte eine Miene grausamer Süffisanz über sein schwammiges Gesicht. Sie kam und verging so schnell, dass Täubrich sie nicht bewusst wahrnahm. Doch er hatte unvermittelt das eigenartige Gefühl, dass sich eine Klaue um sein Herz gelegt hätte und zudrückte.
Raschen Schrittes ging Georg Täubrich die Straße entlang und hielt dabei seinen Zylinder fest, denn der Wind fegte immer wieder in kräftigen Böen von See her über die Stadt. Von allen Kirchen der Stadt erscholl Glockenläuten, überlagerte sich, schwoll chaotisch und doch einer unergründlichen Harmonie des Zufalls folgend an und ab. Die Abendgottesdienste zum Heiligen Abend begannen.
Ganz sicher war Täubrich nicht, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Doch er hatte Amalie das Versprechen gegeben, jede Möglichkeit zu nutzen, um von Weaver mehr über die eigentliche Bestimmung der
Great Eastern
in Erfahrung zu bringen. Durfte er da einen Rückzieher machen, wenn ihm ein günstiges Geschick den bestmöglichen Weg eröffnete, dieses Versprechen zu erfüllen?
Sein Plan war einfach. Wenn das Schiff in Europa lag, wollte er herausfinden, ob es wirklich nur Getreide an Bord nahm oder ob sich die kostbare Baumwolle in Waffen für die konföderierte Armee verwandelte. Wenn dem so war, würde er mit dem nächsten Postdampfer eine Nachricht nach Friedrichsburg schicken. Stand erst eindeutig fest, dass die
Great Eastern
mit Kriegsgütern für die Südstaaten zurückkehrte, konnten Amalie und die engagierte Schuldirektorin frühzeitig Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die Entladung des Schiffes zu verhindern. Dann ließen sich ohne Hast alle jene mobilisieren, die der Konföderation feind waren.
Auf gar keinen Fall würde er untätig bleiben, wenn sich ihm eine derartige Möglichkeit bot.
Täubrich umrundete eine Straßenecke und näherte sich dem in abendlichem Dunkel liegenden Schulgebäude. Nur im Seitenflügel war eine Reihe von Fenstern hell erleuchtet.
Und wie mache ich Amalie klar, was ich vorhabe?,
rätselte Täubrich.
Es ist ja nicht ungefährlich. Sie wird versuchen, es mir auszureden. Und sie wird es schaffen. Aber verheimlichen kann ich ihr das Ganze ja auch nicht.
Nein, er musste es ihr sagen. Aber nicht an diesem Abend. Ihm blieb ja noch reichlich Zeit, die geeigneten Worte und den rechten Moment zu finden.
An der Eingangstür angelangt, zog er am Griff der Türglocke. Während er von drinnen schon Schritte herannahen hörte, richtete er noch schnell den vom Wind zur Hälfte hochgeschlagenen Kragen seines Mantels und bemühte sich, alles aus seiner Miene zu verbannen, das auch nur im Entferntesten das Gewicht der Entscheidung widerspiegelte, die er auf sich genommen hatte.
26.
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