Die Fahrt des Leviathan
Knauf seines Gehstocks gelegt, und sah mit ausdruckslos versteinerter Miene aus dem Abteilfenster auf die vorbeiziehende dämmrige Nachmittagslandschaft.
Seine Gedanken indes standen in denkbar schärfstem Gegensatz zu seiner äußerlichen Unbewegtheit. Weit entfernt davon, wegen der reibungslosen Beilegung der Misshelligkeiten in Pagot Genugtuung zu empfinden, wurde er von Hass auf Major Pfeyfer verzehrt. Das neuerliche Zusammentreffen mit dem schwarzen Offizier hatte er als perfide Demütigung aufgefasst. War da nicht ein höhnisches Grinsen auf den wulstigen Lippen des Niggers zu sehen gewesen, ganz deutlich? Versuchte der Major etwa nicht, ihn unterschwellig an die zugefügte Erniedrigung zu erinnern, ihn zu verspotten? Beaulieu fühlte es, wusste es.
Die Gewissheit, Pfeyfer nach dem Sieg mit eigener Hand leiden lassen zu können, minderte Beaulieu s Zorn um kein Jota. Diese Rache reichte nicht. Er wollte auf besondere Weise an Pfeyfer Vergeltung üben, ihn viel schmerzhafter quälen, als es mit der neunschwänzigen Katze oder glühenden Brandeisen möglich war. Doch wie? Welche Mittel der Rache standen ihm denn außer Folter und einem langen Tod zur Verfügung?
Angestrengt suchte Beaulieu nach etwas, das eine angemessene Marter darstellte. Doch rein gar nichts Adäquates wollte ihm einfallen. Mit Ernüchterung stellte er fest, wie ärgerlich begrenzt doch das Arsenal der Torturen war.
Der Waggon rollte ratternd über Weichen, welche die bevorstehende Einfahrt in den Bahnhof von Friedrichsburg ankündigten. Beaulieu kontrollierte in der spiegelnden Fensterscheibe sein Aussehen, zupfte die Bartspitzen zurecht und erhob sich dann, um seinen Hut aus der Gepäckablage zu holen.
Friedrichsburg
Bob rückte die Uniformmütze gerade. Er hatte kurz zuvor den Nachmittagsdienst angetreten und machte sich bereit, einmal mehr das unhandliche Gepäck eintreffender Reisender zu den im Freien wartenden Droschken zu tragen. Doch er beklagte sich nicht. Im Vergleich zu der Schinderei auf den Baumwollfeldern kam ihm das Koffertragen wie die reinste Faulenzerei vor.
Noch war der Bahnsteig leer. Das würde sich gewiss bald ändern, wenn gleich der für gewöhnlich recht gut besetzte Abendzug aus Preußisch-Pagot eintraf. Das Schnaufen und Stampfen der schweren Lokomotive war bereits deutlich vernehmbar. Auf makelloses Auftreten bedacht, strich Bob sich die Jacke glatt. Dabei fühlte er die harte Ausbeulung an der Brust.
Auf einmal kam es ihm sehr albern vor, dass er jeden Tag den Revolver zum Dienst mitnahm. Er hatte Charles Beaulieu schon einige Zeit nicht mehr gesehen; sicher war der Südstaatler längst heimgekehrt auf seine Plantage, nach Richmond oder sonst wohin. Weit weg jedenfalls, zu weit für die Kugeln des Colts.
So gerne Bob die Welt von seinem teuflischen Peiniger befreit hätte, war er jetzt doch froh, dass ihm diese Mission erspart blieb. Ja, er gelangte sogar zu der Auffassung, dass die gesamte Idee lachhaft war. Um zu töten, bedurfte es nicht bloß einer Waffe. Und Bob war sich nunmehr gewiss, dass er dieses Etwas nicht besaß.
Unter Zischen und metallischem Rumpeln rollte der Zug in die Halle. Bob begab sich vorschriftsgemäß auf den ihm zugewiesenen Platz, um den Passagieren auf einen Wink hin Koffer, Taschen oder Hutschachteln abzunehmen.
Der Zug kam mit einem Rucken zum Stillstand. Pfeyfer öffnete die Abteiltür und stieg behände als Erster aus, um Rebekka Heinrich behilflich sein zu können. Ihm blieb jedoch nicht einmal genug Zeit, ihr zuvorkommend die Hand zu reichen. Die Direktorin verließ den Waggon unmittelbar nach ihm, ohne dabei Unterstützung zu benötigen.
Er kam sich ein wenig albern vor. Nicht viel, aber doch genug, um sich schnell auf irgendeine Weise von diesem unschönen Gefühl ablenken zu wollen. Also trug er Rebekka an, sie in der Droschke, die er zu mieten gedachte, zunächst zur Schule zu bringen.
»Das ist äußerst aufmerksam, Herr Major«, dankte ihm Rebekka. »Aber bedeutet das für Sie denn keinen Umweg?«
»Sie haben für mich heute einen Umweg von vierzig Meilen zurückgelegt. Da wäre es höchst unangebracht, wenn ich für Sie keine knappe Viertelmeile in Kauf nehmen wollte«, entgegnete der Major.
Dem konnte und wollte Rebekka nicht widersprechen. Doch als der Major ihr seinen Arm anbot, um sie hinauszugeleiten, bedeutete sie ihm zu warten.
»Wir sollten uns ein wenig Zeit lassen«, meinte sie und zeigte auf den nächsten Waggon. Pfeyfer begriff sofort, denn
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