Die Fahrt des Leviathan
Tisch in der hintersten Ecke niedergelassen. Erschüttert folgten sie seinen Schilderungen. Sie erfuhren, dass er noch bis vor einigen Monaten Sklave auf Beaulieu s Plantage gewesen war, ausgeliefert der Willkür eines Herrn, der die Peitsche schon immer schrankenlos walten ließ.
»Wir dachten, es sei die Hölle«, presste Bob mit zitternder Stimme hervor. »Aber die wahre Hölle kam erst noch über uns. Im Mai ist eines Nachts das Haus niedergebrannt. Im Feuer sind Missus Beaulieu und ihre Tochter gestorben. Drei Jahre alt war die Kleine erst, drei Jahre. Ein so liebes Kind, mit goldblonden Locken … drei Jahre alt …«
Die Tränen quollen als kleine Bäche aus seinen Augen, rannen seine Wangen hinab und tropften auf die weiße Tischdecke. Er konnte kaum weitersprechen. Pfeyfer bot ihm an, einen Schnaps zu bestellen, doch Bob lehnte ab. Er wollte es hinter sich bringen.
»Dann kam Master Beaulieu zurück«, führte er seinen Bericht mühsam fort. Unwillkürlich verwendete er für seinen einstigen Besitzer die altgewohnte Anrede. »Er glaubte, einige von uns Sklaven hätten das Haus angezündet. Aus Angst versuchten acht von uns zu fliehen. Für Master Beaulieu war das der Beweis ihrer Schuld. Er fing sie ein und hat sie verbrannt. Verbrannt, bei lebendigem Leibe!«
Rebekka schlug entsetzt die Hände vor den Mund. »Oh mein Gott! Das ist – das ist grauenvoll!«
Bob schüttelte den Kopf. »Nein, diese acht hatten Glück gehabt. Für sie war es vorbei. Wir anderen aber …«
Die Worte ließen ihn im Stich. Bob stand unsicher auf und drehte sich herum. Dann zog er Uniformjacke und Hemd hoch, nur so weit, dass zwei Handbreit seines Rückens freigelegt wurden.
Zum Vorschein kam eine Wüste aus wulstigen Narben. Dick und zerfurcht wucherten sie, überlagerten und durchschnitten sich gegenseitig. Kein Flecken Haut war geblieben, nur noch schartiges Gewebe.
»Himmel!«, keuchte Rebekka.
Bob bedeckte den Rücken schnell wieder und setzte sich. Seine Stirn glänzte schweißnass, seine feuchten Augen wanderten ruhelos.
»Sie sind geflohen«, folgerte Pfeyfer.
»Ja, Herr Major«, bestätigte Bob kraftlos. »Fast hätten sie mich gefangen, ich konnte den Grenzposten mit knapper Not erreichen. Ich war so schlimm zugerichtet, dass die Soldaten mich unterwegs in einem Landhaus verarzten mussten, sonst hätte ich die Reise nicht überlebt. Aber ich habe es geschafft, und ich dachte, alles wäre überstanden. Bis Master Beaulieu kam.« Stockend erzählte er von allem, was ihm in den vergangenen Wochen widerfahren war und wie er schließlich den Colt erworben hatte, um sich endgültig zu befreien.
»Aber Sie haben ihn nicht geladen«, merkte Rebekka befremdet an.
»Ich habe es vergessen«, sagte Bob leise. »Vielleicht hat Gott es mich vergessen lassen. Ich bin froh darüber. Denn sonst wäre ich wegen Beaulieu auch noch ein Mörder geworden. Ich hätte meine Seele verloren. Wie er.«
Unter dem hallenden Klappern der Hufe rollte die Droschke durch die nächtlich einsamen Straßen Friedrichsburgs. Kalter Winterregen hatte eingesetzt und trommelte auf das Dach.
»Sie haben richtig gehandelt«, beteuerte Rebekka Heinrich.
»Wir wollen es hoffen«, entgegnete Pfeyfer grüblerisch.
Der Major trug schwer an seiner Entscheidung. Er hatte Bob Prinz unbehelligt gehen lassen. Und das aus eigenem Antrieb, ohne dass die Direktorin ihn darum ersucht hätte. Nun kamen ihm Zweifel. Eine solche Eigenmächtigkeit konnte ihn Kopf und Kragen kosten.
»Seien Sie nur unbesorgt, Prinz wird gewiss kein weiteres Attentat versuchen«, war Rebekka überzeugt. »Und was Ihren Entschluss angeht – Sie folgten Ihrem Gewissen, was absolut ehrenwert ist.«
»Ich bevorzuge es, der Felddienstordnung zu folgen. Das verursacht weniger Kopfzerbrechen«, befand Pfeyfer, ohne dabei sehr überzeugend zu klingen.
Die Droschke hielt vor der Töchterschule. Diesmal gelang es dem Major nicht nur, vor Rebekka auszusteigen, sondern auch, ihr rechtzeitig die Hand zu reichen. Pfeyfers Bemühungen um etikettegemäßes Verhalten ließen Rebekka schmunzeln. Sie akzeptierte die Geste und nahm die Hand an, obwohl sie über das Trittbrett auf das Straßenpflaster gelangte, ohne sich wirklich abstützen zu müssen. Sogleich brachte sie sich vor dem prasselnden Regen in Sicherheit, indem sie in die schützende Nische der Eingangstür eilte.
»Ich bin Ihnen doppelt zu Dank verpflichtet«, ließ Pfeyfer, der weiterhin den dicht fallenden Tropfen ausgesetzt
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