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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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großer Abneigung gegen den Vertreter der sklavenhaltenden Pflanzer. Nur durch inständiges Bitten konnte der Major sie dazu bewegen, vor die Menschenansammlung zu treten.
    Beredt beschwor sie die Protestanten, die Gleise freizugeben und sich nicht durch illegale, wenngleich auch verständliche Taten ins Unrecht zu setzen, ja vielleicht sogar durch das Heraufbeschwören von Ausschreitungen ihre gute Sache zu beflecken. Und tatsächlich gelang es ihr. Die Menschen räumten murrend, doch aus freien Stücken, den Bahnhof und zogen ab.
    Beaulieu s Dank fiel ungemein dürftig aus, doch legten weder Rebekka noch der Major Wert auf Dankesbezeugungen von diesem Mann.
     
    Die Vorgänge in Pagot lagen Pfeyfer schwer im Magen. Ordnung und Sicherheit zu wahren, war seine Pflicht. Doch dass er deswegen zugunsten der Südstaaten tätig werden musste, ärgerte ihn. Dies umso mehr, als die Nutznießer seiner Pflichterfüllung durch Charles Beaulieu vertreten wurden, der ihm schon lange vor seiner Ankunft in Karolina als getreues Abbild all dessen gegolten hatte, was an der Konföderation verabscheuenswert war. Am allermeisten aber setzte ihm zu, dass er Rebekka Heinrich in diese Sache hineingezogen und genötigt hatte, zur Aufrechterhaltung der Ruhe ihren Überzeugungen zuwiderzuhandeln. Das war nicht seine Absicht gewesen, so wenig er viele ihrer Ansichten auch gutheißen konnte. Er kam sich grässlich schäbig vor.
    Auf der Rückfahrt im requirierten Coupé zweiter Klasse brachte Pfeyfer lange Zeit nicht den Mut auf, die versonnen aus dem Fenster blickende Direktorin anzusprechen. Endlich fasste er sich ein Herz und bat sie aufrichtig um Entschuldigung.
    Rebekka schaute ihn überrascht an. »Was bringt Sie denn auf den Gedanken, ich hätte gegen meine Prinzipien gehandelt?«
    »Waren Ihre Sympathien denn nicht auf Seiten der Protestierenden?«
    »Natürlich. Und ich hätte mit Freuden gesehen, wenn die Baumwolle auf dem Bahnhof verrottet und Charles Beaulieu vor Wut blau angelaufen wäre«, gestand die Direktorin freimütig. »Doch dazu konnten Sie es ja gar nicht kommen lassen, Herr Major. Wenn ich mich nicht bereitgefunden hätte, auf die Leute einzuwirken, wären Sie gezwungen gewesen, das Gelände mit Waffengewalt räumen zu lassen, mit allen eventuell daraus erwachsenden Folgen. Durfte ich zulassen, dass ein solcher Vorfall die schon klaffenden Gräben in Karolina noch weiter vertieft? Jetzt, da wir mehr denn je in Einigkeit zusammenstehen sollten?«
    Pfeyfer fasste sich ratlos ans Kinn; Rebekka Heinrich hatte es geschafft, ihn zu verwirren. »Aber wie verträgt sich Ihr Wunsch nach Einigkeit mit Ihren Reden, die doch meines Erachtens eher dem Gegenteil förderlich sind?«
    »Sie missverstehen meine Intentionen. Aber damit stehen Sie nicht alleine. Ja, meine Reden sind kontrovers. Doch nur, weil ich mich zwischen alle Stühle begebe, um allen, Konservativen und Liberalen, Schwarzen und Weißen, eindringlich klarzumachen, dass sie aufeinander angewiesen sind, wenn Karolina eine Zukunft haben soll. Dass die Ideale keiner der beiden Seiten Alleingültigkeit beanspruchen können. Meine Hoffnung war immer, die Menschen zu dieser einfachen Einsicht bewegen zu können. Vielleicht habe ich mich mit dieser Hoffnung einer Illusion hingegeben. Ich fürchte …« Rebekka seufzte leise. Nebenbei ließ sie die Spitze des Zeigefingers über die beschlagene Fensterscheibe fahren und begann, einen Kreis zu zeichnen. Dann jedoch brach sie ab und wischte das unvollendete Bild mit der flachen Hand fort.
    »Sie fürchten, gescheitert zu sein«, ergänzte Pfeyfer halblaut und eher an sich selbst gerichtet den letzten Satz, nur um sich sogleich für seine unbedachte Taktlosigkeit auf die Zunge zu beißen. Aber wider Erwarten reagierte Rebekka Heinrich nicht verstimmt.
    »Ein wenig verstehen Sie mich vielleicht doch«, meinte sie lächelnd. »Und wenn dem so ist, werden Sie auch verstehen, dass ich dennoch nicht aufgebe. Jeder Kampf ist erst dann wirklich verloren, wenn man sich geschlagen gibt.«
    Diese Worte verursachten in Wilhelm Pfeyfer ein eigentümliches Gefühl. Es war eine Sprache, die er verstand, die an sein Innerstes rührte. Für einen Moment erschien ihm Rebekka Heinrich, allen Gegensätzen zum Trotz, sehr nah.
     
    Niemand sonst befand sich in dem Erster-Klasse-Coupé, aber dennoch verhielt Charles Beaulieu sich, als müsse er seine Emotionen vor den unbefugten Augen Außenstehender verbergen. Er saß regungslos, die Hände auf den

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