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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Fall!«, verwahrte Pfeyfer sich entschieden. Mit der Hand ertastete er hurtig den Bettvorleger, zog ihn zu sich unter die Decke und wickelte ihn sich mit einigen Verrenkungen um die Hüfte. Dann stieg er rasch aus dem Bett, ängstlich darauf bedacht, ein Hinabrutschen des kleinen Teppichs zu verhindern. »Ich – ich suche unsere Kleidung«, erklärte er nervös und öffnete die Tür.
    »Sobald ich angezogen bin, bringe ich Ihre Sachen. Aber bleiben Sie in Gottes Namen im Bett!«
    Der Major schlüpfte hinaus auf den Flur und schloss sofort die Tür hinter sich, um nicht in Versuchung zu geraten, noch einen Blick auf Rebekka Heinrich zu werfen.
     
    Sorgfältig hatte Pfeyfer die verstreuten Kleidungsstücke eingesammelt. Von seiner Uniform vermisste er nichts, doch ob die Garderobe der Direktorin komplett war, konnte er nur mutmaßen. Wie das Gestell der Krinoline in die Küche gelangt war, vermochte er sich nicht zu erklären. Dafür glaubte er sich zumindest düster entsinnen zu können, weshalb er das Korsett ausgerechnet über einer Gardinenstange hängend aufgefunden hatte. Wirklich sicher war er sich jedoch nicht. Seine bruchstückhaften Erinnerungen, um deren Verdrängung er sich vergebens bemühte, waren doch recht wirr.
    Nachdem er sich angekleidet hatte, räumte er im Salon flugs noch ein wenig auf. Vier restlos leere Flaschen, die einmal Cognac und Whiskey enthalten hatten, förderte er dabei zutage.
    Es ist alles meine Schuld,
sagte er sich zerknirscht.
Wie konnte ich versuchen, sie mit Alkohol zu beruhigen, nachdem – halt! Ich habe mich ja auch betrunken. Warum überhaupt?
    Jählings fiel es ihm wieder ein. Und die Schuldgefühle, die ihn am Abend zuvor übermannt hatten, kehrten zurück. Diesmal jedoch leistete er ihnen Widerstand. Denn schließlich, so führte er sich vor Augen, konnte die
Great Eastern
durch ihre Fahrt ja unmöglich den Krieg zugunsten der Konföderation entscheiden.
    Doch! Sie kann!
    Pfeyfer merkte, dass er im Begriff war, sich durch Selbstbetrug seinen Seelenfrieden zu erschwindeln. Er empfand Wut auf sich selbst. Nie hätte er geglaubt, zu so erbärmlicher Schwäche fähig zu sein.
    Willst du dich blind stellen? Selbst wenn das Schiff wirklich Getreide holt, dann hilft das dem Süden, länger durchzuhalten. Vielleicht lange genug, dass man im Norden des Krieges müde wird. Und wenn das Lüge ist, wenn es mit Waffen zurückkehrt? Dann erzwingen die Konföderierten den Sieg auf dem Schlachtfeld. So oder so, das Schiff kann den Krieg entscheiden. Und du, Wilhelm Pfeyfer, hast den Sklavenhaltern den Steigbügel gehalten. Braver Nigger! Braver, dummer Nigger!
    Er packte eine der Flaschen und schleuderte sie zornig in den Kamin, wo sie in tausend Scherben zerschellte. Schon ergriff er die nächste und wollte zum Wurf ausholen. Dabei aber fiel sein Blick auf den Flaschenhals, der in seinem Gehirn das Bild einer Kanone aufblitzen ließ. Die Assoziation währte nur einen unendlich kurzen Moment, doch sie löste eine Kette von Gedanken aus, an deren Ende eine unfassbar einfache Idee stand. Sein Zorn verebbte. Er stellte die Flasche auf den Tisch zurück und begann nachzudenken.
    In ihm reifte ein Entschluss. Der schwerwiegendste, den er jemals getroffen hatte.
     
    Rebekka kam, nunmehr wieder vollständig angekleidet, die Treppe hinab. Unten wurde sie bereits von Pfeyfer erwartet, dessen sorgenumwölkte Miene ihr nicht entging. Und sie glaubte auch die Ursache seiner unfrohen Stimmung zu kennen. »Ich möchte Sie um Verzeihung für mein Verhalten von vorhin bitten«, begann sie bekümmert. »Es war nicht recht, Sie derart in Verlegenheit zu bringen.«
    Der Major schüttelte den Kopf. Tiefernst entgegnete er: »Ganz allein ich bin es, der für etwas um Verzeihung bitten muss. Und zwar dafür, dass ich die Vernichtung der
Great Eastern
wissentlich verhinderte. Ich habe jetzt eingesehen, wie unentschuldbar mein Handeln war.«
    »Wir alle machen Fehler, Herr Major«, meinte die Direktorin tröstend.
    »Ich werde meinen Fehler korrigieren. Wenn die
Great Eastern
den Hafen verlässt, versenke ich sie.«
    »Versenken?«, wiederholte Rebekka verwundert. »Aber – wie wollen Sie das denn anstellen?«
    »Das habe ich mir bereits überlegt. Den Zeitpunkt der Abfahrt werde ich erfahren, weil der Kapitän zwei Tage im Voraus einen Lotsen anfordern muss. Ich begebe mich rechtzeitig auf die Bastion Derfflinger und lasse die Mannschaft dort Geschützdrill an einem der Achtzöller durchführen, mit

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