Die Fahrt des Leviathan
ihnen sowieso nur der Tarnung diente. Um seinen Ausflügen in die Stadt einen unverdächtigen Anstrich zu geben, kaufte er jedes Mal mehrere Medizinbücher. Heute hatte er bei der Sortimentsbuchhandlung Hoffmann & Campe einigermaßen wahllos Werke über das Richten von Knochenbrüchen und die Behandlung von Analfisteln erworben. Sollte man an Bord der
Leviathan
wider Erwarten seine Habseligkeiten kontrollieren, würden diese Bücher seine Besorgungen als gewöhnliche Anschaffungen eines Arztes ausweisen. Dann erweckten auch die für sich genommen harmlosen Chemikalien, die er ebenfalls mitbrachte, keinen Argwohn. Heute etwa handelte es sich um ein halbes Zollpfund übermangansaures Kalium aus der Apotheke Oberdörffer im Großen Burstah. So brachte Täubrich portionsweise die für seine Brandsätze notwendigen Zutaten auf das Schiff, vor aller Augen und doch bestens verborgen. Mittlerweile hatte er fast alles beisammen, was er brauchte.
Doktor Täubrich überquerte den Schaarmarkt und hielt schnurstracks auf eine Eichholz genannte Straße auf der gegenüberliegenden Seite zu. Dort befand sich das Wirtshaus, in dem er sich mit Ellerbrook treffen wollte. Zwar war Täubrich viel zu früh hier, doch er konnte es nicht erwarten, ins Trockene zu gelangen und sich mit einem heißen Kaffee aufzuwärmen.
Dass Kapitän James Ellerbrook nicht irgendwer war, musste jedem schon auf den ersten Blick klar werden. Mochte auch die zerknautschte Wachstuchmütze auf seinem Kopf nicht viel herzeigen, verbot doch der Rest seiner Erscheinung jeden Zweifel an seinem gewichtigen Status. Der dunkle Anzug war trotz eines geradezu provinziell bodenständigen Schnitts von bester Qualität, ein bei aller Üppigkeit ungemein sorgsam gestutzter strohfarbener Backenbart umrahmte das runde Gesicht und eine schwere goldene Uhrkette über der roten Weste rundete das Bild eines ausgesprochen gut situierten Mannes ab. Dieser Eindruck entsprach voll und ganz der Realität; Kapitän Ellerbrook hatte vor Jahren schon der Seefahrt den Rücken gekehrt und war nunmehr Inhaber der zweitgrößten Stauerei Hamburgs. Kein Tag verstrich, ohne dass seine Schauerleute die großen Schiffe im Hafen beluden oder ihre Fracht löschten.
Täubrich hatte durch eine glückliche Fügung Ellerbrook gleich am Tag der Ankunft in Hamburg kennengelernt und war mit dem redseligen Kapitän ohne Anstrengung ins Gespräch gekommen. So hatte er eine Reihe höchst interessanter Dinge in Erfahrung gebracht. Bisweilen gestaltete sich die Unterhaltung allerdings recht mühselig, weil Ellerbrook dazu neigte, vorübergehend ins Plattdeutsche abzugleiten, das ihm ganz eindeutig näher lag. Mit Mundarten jeder Couleur tat Täubrich sich schwer, da in Karolina kein Dialekt gesprochen wurde und sich das dort allgemein gebräuchliche Hochdeutsch allenfalls durch eine leichte, selbst für Außenstehende meist kaum wahrnehmbare Anlehnung der Sprachmelodie an den Klang des amerikanischen Englisch auszeichnete. Anfangs hatte dieses Manko den Doktor in heillose Verwirrung gestürzt. Doch inzwischen hatte er sich einigermaßen an die gelegentlichen Ausflüge ins Hamburger Platt gewöhnt und wartete einfach, bis sein Gegenüber wieder in die Hochsprache zurückfand.
Ellerbrook trank ohne Hast einen großen Schluck Milch; der Kapitän war strikter Abstinenzler und niemand in der Stadt hätte es gewagt, sich darüber zu mokieren.
Dann stellte er das Glas wieder auf den Tisch, nahm einen Zug aus der Pfeife, entließ den Rauch gemächlich durch die Mundwinkel und meinte schließlich: »Mag ja ’n schönes Schiff sein, Herr Doktor. Aber groß, bannig groß. Ich möchte so’n Pott nicht über’s Meer steuern müssen. Und schon gar nicht in’n Hafen. Nee, nee.«
»Kann ich mir denken. Ich möchte ja auch keinen Elefanten von Diarrhö kurieren müssen«, sagte Täubrich und gab der Wirtin durch ein Zeichen zu verstehen, dass er noch einen Kaffee wollte.
Der Kapitän lachte schallend. »’n Elefant mit Dünnschiss! Dat is man to’n Pruschen! Dat vertell ick mien Fru, die ward ook lachen, Herr Dokter, dat segg ick Ihn’.«
Durch eifriges Nicken, unterstützt von einem Lächeln, gab Täubrich seiner Zustimmung Ausdruck, obwohl er nur raten konnte, was Ellerbrook eben gesagt hatte. Ihm war wichtig, das Gespräch nicht durch Nachfragen zu unterbrechen, sondern ständig im Fluss zu halten. Der Kapitän war über alles, was sich rund um den Hamburger Hafen zutrug, bestens im Bilde. Und er gab sein
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