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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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die
Leviathan
beladen wurde, schickte ich einen Brief an meinen Vater. Ich riet ihm, den Hamburger Senat zu ersuchen, Schiff und Ladung gleich bei der Ankunft zu beschlagnahmen. Gründe hätten sich gewiss finden lassen. Vorgestern erhielt ich seine Antwort.«
    Der Kronprinz erhob sich und bedeutete Pfeyfer durch eine Geste, Platz zu behalten. Mit wenigen, weit ausgreifenden Schritten ging er hinüber zum Schreibtisch, öffnete eine der Schubladen und holte einen entfalteten Briefbogen heraus. Aber er las nicht vor, sondern griff zielsicher die Sätze heraus, die den Kern der Mitteilung bildeten, und fasste sie knapp zusammen: »Er schreibt, er respektiere meine Befürchtungen. Doch Bismarck, der meine Einschätzung der Situation für übermäßig dramatisierend halte, habe ihm eindringlich von jedem Eingreifen abgeraten. Der Ministerpräsident sei der Auffassung, Preußen dürfe seine erklärte Neutralität im amerikanischen Bürgerkrieg nicht durch einseitige Benachteiligung einer der Kriegsparteien zur Farce degradieren, was nicht nur politisch unklug, sondern vor allem auch höchst unehrenhaft sei. Unehrenhaft! Diesem Argument konnte mein Vater sich natürlich nicht verschließen.«
    »Was für ein verfluchter Dummkopf ist dieser Bismarck eigentlich?«, entfuhr es dem erzürnten Pfeyfer, der seine ungehörige Ausdrucksweise aber sofort bereute und in Erwartung eines Tadels abrupt verstummte.
    Der Prinz aber lachte nur bitter. »Ein Dummkopf? Schlau ist er, gefährlich schlau. Erst so kurz im Amt, hat er schon erfasst, welche Saiten er in meinem Vater zum Klingen bringen muss.«
    Er lachte abermals, diesmal in resigniertem Abscheu, legte das Schreiben auf den Tisch und kehrte zum Sessel zurück; doch er setzte sich nicht, sondern beugte sich ein wenig vor und stützte sich mit den Händen auf die Rückenlehne.
    »Hoheit, mit allem Respekt«, wandte Pfeyfer aufgeregt ein, »diese Entscheidung kann Karolina ins Unglück stürzen.«
    Die blonden Brauen des Prinzen wölbten sich vor und überschatteten die blauen Augen. »Ganz recht, Major. Und das nur, weil dieser saubere Herr von Bismarck es sich wohl vorsichtshalber nicht mit der Konföderation verderben möchte. Oder welche undurchsichtigen Beweggründe er auch immer dafür haben mag. Dieser Taschenspieler kann sich ganz gewiss nicht lange in der Wilhelmstraße halten. Aber für diese Provinz wird sein absehbarer Sturz zu spät kommen.«
    Erschüttert begriff Pfeyfer, dass Georg Täubrich durch das Kalkül eines berechnenden Politikers seinem Schicksal überantwortet war. Ein eigentümliches Gefühl des Ausgeliefertseins, der kalten Wut auf eine ungreifbare Maschinerie und ihre alles zermalmenden Mühlsteine überkam ihn.
    »Noch ist nicht alles verloren, Hoheit. Es liegt doch in Ihrer Macht, den Dingen eine Wendung zu verleihen«, beschwor er Prinz Friedrich. »Als Gouverneur können Sie das Schiff konfiszieren lassen, sobald es eintrifft. Damit entgeht der Konföderation die Fracht auf unbestimmte Zeit, alles Weitere findet sich.«
    Während er sprach, verspürte Pfeyfer ein schales Gefühl. Sein Vorschlag implizierte Doktor Täubrichs Versagen und somit dessen Tod.
    »Diese Möglichkeit habe ich bereits erwogen. Aber sie lässt sich nicht verwirklichen«, beschied ihm der Thronfolger.
    »Hoheit, ich verstehe nicht … Sie hatten ein solches Vorgehen dem König doch vorgeschlagen.«
    »Für Hamburg, Major, für Hamburg«, erinnerte ihn der Prinz. »Hier hingegen lägen die Dinge anders. Ich würde mich durch einen derartigen Akt in den Augen der Liberalen als Despot gerieren, der unter Missachtung geltenden Rechts willkürlich Privatbesitz einzieht. Unter den gegenwärtigen Umständen könnte das dramatische, ja fatale Folgen zeitigen.«
    Er richtete sich wieder zu voller Größe auf und hob in einer Geste unwilligen Stoizismus die Schultern. »Die Ladung der
Leviathan
wird den Südstaaten zugutekommen. Niemand kann es verhindern, auch ich nicht.«
    Pfeyfer sagte nichts.

16. Januar
    Healey lehnte die Glastür sachte an, damit sie nicht hinter ihm ins Schloss fiel. Dann ging er langsam über die Terrasse. Die Steinplatten unter seinen Füßen glänzten noch nass von dem heftigen Regenschauer, der am Nachmittag über Friedrichsburg niedergegangen war. Hier und dort hatten sich flache Pfützen gebildet, in denen sich der nunmehr sternenklare Abendhimmel tintenschwarz spiegelte.
    Der Schein des Lichts aus den Fenstern erreichte den Rand der Terrasse nur als

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