Die Fahrt des Leviathan
Wissen willig preis, wenn seine Laune stimmte und er erst einmal ins Reden kam. Von ihm hatte Täubrich schon allerhand erfahren. So wusste er jetzt, dass im gesamten übrigen Hafen seit Ankunft der
Leviathan
die Arbeit ruhte. Alle Schauerleute, Ewerführer und Tallymänner, selbst sämtliche verfügbaren Tagelöhner, waren rund um die Uhr allein damit beschäftigt, die Baumwolle an Land zu schaffen und jeden Fußbreit freiwerdenden Laderaums nach einem exakten Plan sofort wieder zu füllen. Die neue Fracht bestand aus Abertausenden Fässern mit Mehl.
Schon vor Wochen war ein mysteriöser Handelsagent namens Knochenhauer in Hamburg erschienen, hatte alle Stauereien und Hafenschiffer verpflichtet und dabei Unsummen alleine für Vorschüsse ausgegeben. Darüber hinaus hatte Knochenhauer auch Dutzende Lagerhäuser und Speicher angemietet, dazu zahllose Fuhrleute sowie Träger engagiert und zudem mehrere Güterzüge der Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft reserviert. Täubrich fragte sich, auf wessen Konto diese minutiösen Arrangements wirklich gingen und wer die beträchtlichen Geldmittel zur Verfügung gestellt haben mochte.
Ihm war natürlich Alvin Healeys Schilderung bekannt, der zufolge alles mit der Ankunft des österreichischen Geheimdienstoffiziers Kolowrath begonnen hatte. War das Habsburgerreich der wahre Drahtzieher? Vom Ankauf des Schiffes bis hin zu den aufwendigen Vorbereitungen, die Privatleute unmöglich so kurzfristig hätten treffen können, sprach in der Tat alles dafür. Aber welche geheimen Interessen verfolgte man in Wien damit überhaupt? Österreich gewann doch durch einen Sieg der Südstaaten absolut nichts. Alles schien so unsinnig. Es wollte Täubrich nicht in den Kopf gehen.
Die Wirtin stellte eine Tasse dampfenden Kaffees vor dem Doktor auf den Tisch. Täubrich erkundigte sich nach etwas zu essen und erhielt die Empfehlung, den hausgemachten Großen Hans zu versuchen. Ohne zu fragen, worum es sich dabei handelte, bestellte er eine Portion und wandte sich dann wieder Ellerbrook zu.
»Schon das Entladen der
Leviathan
allein wäre gewiss eine Herausforderung«, bemerkte er. »Und wenn ich dann bedenke, dass zugleich auch noch beladen wird … so viele Männer, von denen jeder genau seine Aufgabe kennt. Ein wahres Wunder an Organisation, das die Hamburger Stauereien da vollbringen, Herr Kapitän.«
Ellerbrook blies den Pfeifenqualm durch die geblähten Nasenlöcher heraus. »Wunder! Hat sich was mit Wunder, Herr Doktor. Dieser Knochenhauer hat seine eigenen Vormänner mitgebracht. Die haben das Kommando übernommen. Und die schreiben auch vor, wie alle Arbeiten durchgeführt werden. Malle Dösbaddel sien dat.«
»Aber läuft denn nicht alles ganz perfekt?«
»Ja, ja, sicher. Allens löpt«, gestand Ellerbrook ein, schüttelte dabei jedoch missbilligend den Kopf. »Aber nicht
richtig.
Düsse Keerls föhren sik op as – ick weet nich as wat. Halt nicht, wie’s im Hafen üblich ist. Schinner sien dat. Die wollen, dass alle Männer wie verdammte Uhrwerke plockern, jüst as Serschanten op’n Exerzierplatz. Nur damit alles schnell geht. Snell, snell, blot keen Paus maken. Woför schall dat good sien?«
Er trank den Rest seiner Milch in einem Zug aus und hielt das leere Glas kurz in die Höhe, so dass die Wirtin es sehen konnte. »Sogar nachts müssen die Leute ja arbeiten, bei diesem ekligen falschen Licht von der Lampe auf’m Großmast. Nee, nee, geih mi wech mit so’n Düvelstüch! Der Herrgott hat die Nacht geschaffen, damit anständige Christenmenschen schlafen. Wo schall dat aals enden?«
Täubrich pflichtete dem Kapitän wohlweislich in dessen Sorge um die hergebrachte Ordnung der Dinge bei, während er in Gedanken versuchte, die Handvoll neu hinzugekommener Mosaiksteinchen zu sortieren und in das Gesamtbild einzupassen. Seine Überlegungen wurden unterbrochen, weil die Wirtin kam und vor ihm einen großen Teller platzierte, auf dem sich eine buttergelbe Scheibe von schwammiger Konsistenz befand, ein Mittelding aus Pudding und Kuchen, umgeben von einem See roter Grütze.
Als Doktor Täubrich das Wirtshaus verließ, schneite es nicht mehr. Daher beschloss er, nicht direkt zum Schiff zurückzukehren. Stattdessen begab er sich zu den ehemaligen Stadtwällen, die nunmehr mit Bäumen bepflanzt und von Wegen durchzogen als Parkanlagen zum Promenieren einluden, und stieg die frühere Bastion Stintfang hinauf. Von dort ließ sich der Hafen bestens überblicken.
Wie er schon
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