Die Fahrt des Leviathan
gemeint war. Vielmehr galt die wütende Verwünschung einem der Schauerleute, der bei den Fässern stand und Pfeife rauchte. Ein Vorarbeiter kam auf ihn zugestürmt, riss ihm barsch die Pfeife aus dem Mund und schleuderte sie ins Hafenbecken.
»Wie oft haben wir euch das eingehämmert! Rauchen verboten, du dämliches Rindvieh!«, stauchte der Vorarbeiter sein Gegenüber zusammen. Er packte den heftig protestierenden Schauermann am Kragen, machte ihm unmissverständlich klar, dass er entlassen war, und zerrte ihn fort.
Der Vorfall brachte Doktor Täubrich zum Nachdenken. Warum herrschte in der Nähe der Fässer eigentlich ein strenges Rauchverbot?
Vielleicht aus Angst vor einer Mehlstaubexplosion?,
spekulierte er.
Oder enthalten diese Fässer am Ende gar kein Mehl?
Unter Verweis auf ein leichtes Unwohlsein hatte Täubrich darum gebeten, ihn an diesem Abend bei Tisch zu entschuldigen. Während Hendricks und die Offiziere speisten, wollte er erkunden, welche Fracht das Schiff tatsächlich an Bord nahm. War es, wie er inzwischen argwöhnte, kein Mehl, musste er mit dem nächsten Paketdampfer einen Brief an Amalie und Rebekka senden. Mit der Wahrheit über die Mission der
Leviathan
konnten sie in Karolina gewiss etwas bewirken.
Täubrich mied das Oberdeck, das im grellen Schein der Kohlebogenlampe lag und zudem voller Menschen war. Mit einer tragbaren Petroleumlampe in der einen Hand und einem Brecheisen in der anderen schlich er in einen der bereits vollständig mit Fässern beladenen Räume. Für die Schauerleute gab es dort nichts mehr zu tun, daher lag dieser Teil des Schiffes völlig verlassen. Der betriebsame Lärm wurde nur als gespenstisch ferner Hall bis hierher getragen.
Vorsichtig stellte der Arzt die Lampe auf dem Boden ab, setzte die Brechstange am erstbesten Fass an und stemmte den Deckel auf. Sobald sich unter stumpfem Knarren ein kaum handbreiter Spalt aufgetan hatte, griff Täubrich hinein und ertastete den Inhalt. Was er unter den Fingerspitzen fühlte, war eine Art grobes Granulat, doch auf gar keinen Fall Mehl.
»Teufel noch mal«, sagte er halblaut zu sich selbst. »Ist das etwa tatsächlich …«
»Schießpulver, Doktor«, hörte er Hendricks’ Stimme von hinten.
Täubrich blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Er riss die Hand aus dem Fass, wandte sich ruckartig herum und sah sich dem Kapitän sowie drei NeitherNors gegenüber. Degenklingen waren auf ihn gerichtet, zum Zustoßen bereit.
»Als Arzt sind Sie vielleicht gut. Als Spion hingegen eine Null«, meinte Hendricks verächtlich. Das Halbdunkel und der Schein der Petroleumlampe formten aus seinem entstellten Gesicht eine dämonische Fratze. Der Kapitän deutete durch ein Nicken in Richtung der Lampe und sogleich nahm einer der Männer sie an sich.
»Wie ist das möglich?«, keuchte Täubrich schockiert. »Wieso wussten Sie …«
Hendricks verzerrte den zernarbten Mund zu etwas, das entfernt einem höhnischen Grinsen ähnelte. »Doktor, Sie haben das Schiff während der Fahrt ein wenig zu auffällig von Bug bis Heck durchstöbert. Ihr Verhalten gab mir Anlass zu Misstrauen. Zu Recht, wie sich nun herausgestellt hat.«
»Wie sollen wir ihn beseitigen, Sir?«, wollte einer der Bewaffneten wissen.
»Vorerst gar nicht. Ich brauche ihn noch für die Rückfahrt«, entschied Hendricks und meinte dann, nunmehr wieder an Täubrich gerichtet: »Heimgekehrt wären Sie so oder so nicht. Jeremiah Weaver ersuchte mich, Sie auf der Rückfahrt zu töten. Seine Beweggründe nannte er zwar nicht, doch nun habe ich dank Ihrer Hilfe sogar einen schönen Anlass, Sie in die Hölle zu schicken.«
»Weaver? Aber – aber ich begreife nicht …«
Täubrich blieben die Worte in der Kehle hängen. Auf einen Wink des Kapitäns traten zwei NeitherNors vor und packten ihn. Ohne Widerstand ließ er sich abführen.
»Sperrt ihn in seine Kabine und stellt eine Wache vor die Tür«, ordnete Hendricks an. »Und sorgt dafür, dass dieses Fass sofort wieder fest verschlossen wird.«
29. Januar
Friedrichsburg
Wenzel von Kolowrath brauchte nicht lange zu warten. Der Reisende, zu dessen Empfang er sich am Quai eingefunden hatte, kam gleich als einer der ersten Passagiere über die Gangway der
Suebia
an Land. Rasch wischte sich der Österreicher noch mit den Fingerspitzen eine Spur Straßenstaub vom Ärmel des Gehrocks, dann trat er vor den unglaublich hageren, nicht mehr jungen Mann und lüftete den Zylinder.
»Ich heiße Sie willkommen, Herr General«, begrüßte
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