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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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Restaurant nach. Seit dem Fiasko bei der Durchsuchung des Lagerhauses betrachtete er Krüger mit Argwohn. Jetzt hatte er diese dubiose Gestalt endlich in ihre Schranken gewiesen und empfand darüber echte Genugtuung. Zugleich wunderte er sich über sich selbst. Nie hätte er für möglich gehalten, dass er Autorität anzweifeln könnte. So gravierende Folgen diese Insubordination für ihn auch haben konnte, fühlte er sich doch seltsam erleichtert. Ihm kam es vor, als würde er zum ersten Mal seit einer Ewigkeit kräftig durchatmen.
    Er öffnete das Notizbuch und wollte sich erneut seinen Aufzeichnungen zuwenden. Doch dann kam bereits der Kellner mit der Suppe.
    Als Kolowrath aus dem Restaurant Printz hinaus ins Freie trat, war er noch immer wie vor den Kopf geschlagen. Konsterniert fragte er sich, wie er Major Pfeyfers Charakter nur so falsch hatte einschätzen können. Im Leben hätte er diesem Mann, der ihm wie das Musterexemplar eines blind autoritätsgläubigen Offiziers erschienen war, keine so ungeheuerliche Auflehnung zugetraut.
    Er schritt sehr rasch das Trottoir entlang; wenn er es sich auch nicht eingestanden hätte, verspürte er doch das Bedürfnis, schnellstens den Ort hinter sich zu lassen, an dem er die ungewohnte Erfahrung eines Fehlschlags hatte machen müssen.
    Was ist bloß in ihn gefahren?,
fragte sich Kolowrath beunruhigt.
Hat er möglicherweise Verdacht geschöpft? Ist er mir auf der Fährte?
    Mit einem brüsken Kopfschütteln verscheuchte der Österreicher diese abstruse Befürchtung. Ihm schien undenkbar, dass Wilhelm Pfeyfer, der seines Erachtens wie die meisten Militärs nur ein höchst beschränktes Vorstellungsvermögen besaß, einen ernst zu nehmenden Verdacht gegen ihn hatte.
    Nein, er ist einfach nur aus gekränktem Stolz widerborstig. Der Herr Offizier will zeigen, dass er sich nicht von einem schäbigen Zivilisten herumkommandieren lässt. Schön, ich brauche ihn und seine Berichte sowieso nicht mehr.
    In Gedanken trat Kolowrath auf die Straße und lief um ein Haar vor eine Kutsche. Im allerletzten Moment konnte er zur Seite springen. Das Gefährt rumpelte mit kaum einem Fuß Abstand an ihm vorüber, begleitet von einem derben Fluch des Kutschers an die Adresse des unachtsamen Passanten.
    Kolowrath spürte sein Herz trommeln; aber er fasste sich schnell wieder.
Nimm dich zusammen,
ermahnte er sich.
Solche idiotischen Fahrlässigkeiten kannst du dir nicht erlauben. Denk nicht mehr an Pfeyfer und seine lächerlichen Kapriolen. Konzentration!
    Nur einen Moment benötigte Kolowrath, um sich zu sammeln. Dann bewegte sich sein Geist wieder in den gewohnten zuverlässigen Bahnen. Er war nicht willens, sich von einem unbedeutenden Nadelstich aus dem Konzept bringen zu lasen. Große Ereignisse standen bevor und erforderten seine gesamte Aufmerksamkeit.
    Er richtete den verrutschten Zylinder, rückte die Brille zurecht und setzte seinen Weg zügig fort.

Gut Mathildenruh
    Ein letzter Schuss knallte. Die Kugel drang nur eine Handbreit vom Zentrum der Zielscheibe in das schon vielfach durchlöcherte und gesplitterte Holz.
    Charles Beaulieu setzte das Fernglas ab und strich sich über die Spitzen seines wachsversteiften Schnurrbarts. »Ganz exzellent. Sie haben bei der Ausbildung der Männer in jeglicher Hinsicht ganze Arbeit geleistet«, urteilte er erfreut.
    Levi schlug die Hacken zusammen, wie es ihm nach Jahren im preußischen Militär in Fleisch und Blut übergegangen war. »Vielen Dank, Sir«, entgegnete er. »Aber der Eifer, von dem diese Leute ausnahmslos erfüllt sind, hat mir meine Aufgabe ganz erheblich erleichtert.«
    Weaver, der die Schießübungen gleichfalls aufmerksam beobachtet hatte, versuchte durch hektisches Wedeln mit beiden Händen den beißenden Pulverqualm, der nach insgesamt dreihundert abgefeuerten Schüssen über dem improvisierten Schießstand inmitten der kahlen Felder hing, von seinem Gesicht fernzuhalten. Es gelang ihm nicht.
    »In der Tat, sehr eindrucksvoll«, krächzte er zwischen dem Husten, der ihn bei jedem Atemzug überkam. »Ich bezweifle, dass irgendjemand sonst unsere Freiwilligen besser auf ihre große Aufgabe hätte vorbereiten können«
    Er wollte noch weitersprechen, kam dann aber augenscheinlich zu dem Schluss, dass er bereits genug Pulverqualm in seine Lungen gesogen hatte, und verzichtete vorerst auf weitere Äußerungen.
    Abermals bedankte Levi sich bescheiden. Dann wandte er sich an die Freiwilligen, die vollzählig an der Schießbahn angetreten

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