Die Fahrt des Leviathan
Anwesenheit von Niggern im Zuschauerraum mochte er gar nicht erst denken. Wie glücklich stimmte ihn die Vorstellung, schon sehr bald nur mehr vor echten Amerikanern aufzutreten. Diese erfreuliche Aussicht galt es zu feiern, am besten gleich am übernächsten Tag, wenn keine Abendvorstellung anstand.
Mit besonderem Stolz erfüllte ihn, selbst eine Rolle bei der Befreiung South Carolinas zu bekleiden. Eine kleine Rolle nur, gewiss. Aber letztlich benötigte jede gute Inszenierung brillante Nebendarsteller, sollten die Protagonisten zu voller Geltung gelangen. Es würde fraglos die Rolle seines Lebens werden. Für dieses einmalige Gastspiel hatte er sogar während der gesamten Ausbildung den ermüdenden Ritt zwischen Gut Mathildenruh und der Stadt zweimal täglich auf sich genommen, um keine seiner Vorstellungen im Theater ausfallen zu lassen.
Er blickte dem bevorstehenden Einsatz, der ein Spaziergang zu werden versprach, mit unbändiger Vorfreude entgegen. Dass mit ernsthaften Kämpfen nicht zu rechnen war, kam seinen Neigungen sehr entgegen. Als Thespisjünger lag ihm Thalia näher als Mars. Das blutige Handwerk des Tötens überließ er gerne jenen groben Naturen, die sich zum Krieger berufen fühlten. Nur einen oder zwei der anmaßenden preußischen Nigger wollte er recht gerne mit seinen Kugeln zur Strecke bringen, als Trophäen, die sein Heldentum augenfällig unter Beweis stellten. Aber Menschen zu erschießen, war seine Sache nicht.
Das Pferd jagte um eine scharfe Straßenkurve. Thompson konnte gerade noch verhindern, dass er aus dem Sattel geschleudert wurde. Bleich vor Schreck kam er zu der Einsicht, dass sein Publikum einen leicht verspäteten Hauptdarsteller einem toten vorziehen würde, und ließ den Hengst in einer deutlich ruhigeren Gangart weitertraben.
Friedrichsburg
Die Flamme der Kerze auf dem Nachttisch flackerte jedes Mal, wenn ein Luftzug sie erfasste. Und das geschah in kurzen Abständen. Mit Einbruch der Nacht war starker Wind aufgekommen, der von See her über die Stadt fegte und um die Häuser heulte. Wann immer eine Böe gegen das Fenster des Schlafzimmers drückte, pfiff es leise durch die Spalten des verzogenen Rahmens und ein kühler Hauch durchströmte für einige Sekunden den Raum.
Alvin Healey lag im Bett, die Decke bis zum Kinn gezogen, die Augen in endlos rotierende Gedanken vertieft auf die Wand gerichtet. Im unsteten Kerzenschein schienen die Risse des abplatzenden Putzes ein gespenstisches Eigenleben zu erlangen, sich zu winden, ineinanderzufließen und in immer neuen Verästelungen zu trennen, um am Ende doch unverändert zu bleiben.
Alles nur Illusion,
ging es Healey durch den Kopf.
Genau wie bei mir. Ich bilde mir ein, ich kämpfe mich vorwärts. Und in Wirklichkeit komme ich nicht vom Fleck.
An diesem Abend hatte Rebekka Heinrich ihn nach dem Essen unter vier Augen dezent darauf aufmerksam gemacht, dass seine häufige Präsenz, vor allem jedoch sein Wesen, Amalie von Rheine zuweilen enervierten. Von diesem unerwarteten Tiefschlag hatte Healey sich noch immer nicht erholt. Nicht allein, dass ihm die Zeit zwischen den Fingern zerrann, weil er ja mit Georg Täubrichs baldiger Rückkehr rechnen musste; nun hatte er auch noch Fräulein Amalies Unwillen erregt und wusste nicht einmal, wodurch. Die Direktorin hatte es bei einem Hinweis belassen und war, vermutlich aus gut gemeinter Rücksichtnahme, nicht ins Detail gegangen. Und er hatte auch nicht nachzufragen gewagt. Zu groß war seine Furcht gewesen, durch drängendes Bitten um Erklärungen vielleicht einen verfänglichen Hinweis auf seine wahren Gefühle für Fräulein Amalie zu geben.
Was mache ich falsch?,
fragte er sich. Seine Gedanken rotierten schon seit Stunden um nichts anderes.
Ich strenge mich doch an, mich zu ändern. Ich versuche nach Kräften, ein besserer Mensch zu werden und ihr zu gefallen. Warum misslingt mir das?
Er gab sich alle Mühe, zuvorkommend, aufmerksam und im Rahmen seiner Möglichkeiten sogar heiter und unterhaltsam zu sein. Vielleicht waren seine Anstrengungen bisweilen ungelenk, aber doch bestimmt nicht so sehr, dass Amalie von Rheine sich abgestoßen fühlen konnte.
Nein, an meinem Verhalten liegt es bestimmt nicht. Es muss eine Eigenschaft sein, auf die ich keinen Einfluss habe. Aber welche? Herrgott, welche nur?
Ein Kratzen kroch Healeys Kehle herauf. Sein Rachen war trocken und rau, ein abscheulich bitterer Geschmack lag auf seiner Zunge. Er musste dringend etwas trinken.
Healey schlug
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