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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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hunderttausend Mann auf. Dann können hundert Preußen erst recht einem Regiment Konföderierter den Weg verlegen.«
    Junger-Fuchs setzte an, etwas zu sagen, stockte noch in der ersten Silbe und konnte erst im zweiten Anlauf seine Worte über die Lippen bringen: »Ich nehme für mich nicht in Anspruch, über tief gehende Kenntnisse der antiken Geschichte zu verfügen, Wilhelm. Eines aber weiß ich ganz genau: dass keiner der Spartaner überlebte.«
    Pfeyfer sagte nichts dazu; seine kontrollierten Züge verbargen, was er in diesem Moment dachte und empfand. Nur in seinen Augen stand ein trübes Flimmern und verriet, wie es in ihm aussah. »Gehen wir jetzt hinüber«, meinte er tonlos. »Wir werden gebraucht.«
     
    Intuitiv hatte Pfeyfer die Gunst des Ortes erfasst. Die nächste Brücke über den Combahi lag viele Meilen im Norden; ein Umweg, den sich die Südstaatler nicht würden leisten können. Sie mussten alles daransetzen, den Fluss an dieser Stelle zu überschreiten. Und der einzige Weg über den Fluss führte über die Brücke, denn der sumpfige Grund verurteilte jeden Versuch, den Strom zu durchwaten, unweigerlich zum Scheitern. Die baumlose Ebene gab die Angreifer bei jeder Attacke gezieltem Feuer preis. Den preußischen Soldaten auf dem anderen Ufer hingegen boten hohe Stapel dicker Holzbohlen, in langen Reihen aufgeschichtet für Arbeiten an der Uferbefestigung, sichere Deckung. Überdies standen sie mit dem Rücken zu einem Wald, vor dessen üppigem Laubwerk die grün gekleideten Jäger nur schwer auszumachen waren. Wenn es überhaupt einen Ort gab, an dem eine Handvoll Kämpfer imstande war, einen überlegenen, zu allem entschlossenen Feind aufzuhalten, dann diesen. Hier konnte das Unmögliche gelingen.
    Während sie über die Brücke schritten, holte Junger-Fuchs rastlos abermals die Taschenuhr hervor, nur um sie auf der Stelle wieder einzustecken. »Das macht mich wahnsinnig«, gestand er nervös ein. »Wenn du recht hast, und du hast zweifellos recht, nehmen diese Halunken den Kronprinzen um neun als Geisel. Und wir können nichts tun, um es zu verhindern!«
    »Nein, das können wir nicht.« Pfeyfer machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihn das Wissen um diese Unabwendbarkeit belastete. »Für eine Weile werden die Verschwörer dadurch die Menschen lähmen, die Provinz handlungsunfähig machen, so wie sie es sicherlich anstreben. Nur hält dieser Effekt nicht ewig vor. Sie brauchen Verstärkungen zur Festigung ihrer Position, bevor der erste Schock nachlässt und sich Widerstand regt. Wir erkaufen Zeit, damit dieser Widerstand entstehen kann. Das wird geschehen. Erst recht, wenn durch unsere Meldung bekannt wird, was diese Verbrecher mit Karolina vorhaben. Einige Stunden reichen, damit sie auf verlorenem Posten stehen.«
    »Wenn sie aber nun Seine Hoheit tö– Seiner Hoheit Schaden zufügen?«
    Pfeyfer blieb stehen, stützte sich mit beiden Armen auf das Brückengeländer und starrte hinab in das rasch dahinströmende Wasser, das in trübbraunen Strudeln um einen steinernen Pfeiler rauschte. »Ich habe deswegen mit mir gerungen«, bekannte er. »Ich sage mir, dass der Kronprinz Offizier ist, wie wir. Dass er bereit ist, sich zu opfern. Er wird nicht aus Sorge um sein Leben das Volk zum Stillhalten aufrufen. Und wir dürfen nicht den Weg für unsere Feinde räumen, um ihn zu schützen. Er würde es nicht wollen.«
    Sein Blick blieb auf die gurgelnden Fluten gerichtet. Dann, nach einem Moment des Schweigens, setzte er hinzu: »Wir werden sie aufhalten.«
    »Solange wir Munition haben«, schränkte Junger-Fuchs ein. »Ist unsere letzte Kugel verschossen, gnade uns Gott. Dann überrennen sie uns.«
    Nun erst hob Pfeyfer wieder den Kopf und wandte sich dem Hauptmann zu. »So weit kommt es nicht, Ludwig«, hielt er entgegen. »Auf die Nachricht, dass wir hier standhalten, wird man uns aus der Bredouille heraushauen.«
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte Junger-Fuchs skeptisch.
    Ein seltsamer Ausdruck trat in Pfeyfers Miene, als kämpften Bravour und Verlorenheit darum, die Oberhand zu gewinnen. »Ich muss es glauben«, antwortete er halblaut.
     
    * * *
     
    Eine Nacht ohne Schlaf lag hinter Alvin Healey. Eine Nacht, in der er gegen Ungeheuer gekämpft hatte. Seine Seele war durch einen schwarzen Ozean getrieben, aus dessen Tiefen modrigsüße Sirenengesänge verführerisch säuselten und ihn hinabzulocken versuchten.
    Er wäre ihnen gerne gefolgt in die erlösende Finsternis des Nichtseins. Ein Teil von

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