Die Fahrt des Leviathan
ihm hatte sich jedoch gewehrt und am Ende den Sieg davongetragen. Nun wünschte Healey, er wäre den Rufen gefolgt. Das Klirren des zerschellenden Glases hallte ihm noch immer in den Ohren.
In dunkelste Schwermut versunken saß er seit dem Morgengrauen an seinem Tisch im Büro der Richmond-Handelsgesellschaft. Vor ihm lag ein Briefmesser mit langer Klinge, seine Hände ruhten starr zu beiden Seiten. Immer wieder stieg in ihm der Wunsch auf, einfach nach dem Messer zu greifen. Doch er konnte sich nicht dazu überwinden. Er wollte sich nicht auch noch wie ein jämmerlicher Feigling davonstehlen. Nicht wie der Versager, der er war.
Die Tür wurde aufgestoßen. Healey, unvermittelt aus seinen düsteren Gedankengängen gerissen, blickte auf und sah Jeremiah Weaver hereinkommen.
Der Verleger war in einen langen Mantel gekleidet, der seine voluminöse Gestalt noch unförmiger wirken ließ, und trug in der Hand ein langes, vollständig mit Packpapier umwickeltes Bündel.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Und beim Allmächtigen, es
ist
ein prachtvoller Morgen!«, tönte er gutgelaunt beim Nähertreten.
»So. Finden Sie?«, entgegnete Healey stumpf.
»Durchaus. Und Sie werden sich bald meiner Begeisterung anschließen, denn ich überbringe Ihnen fabelhafte Nachrichten, die Sie in große Freude versetzen dürften«, behauptete Weaver im Brustton der Überzeugung. Er legte das lange Paket auf dem Tisch ab, knöpfte den Mantel auf und enthüllte, dass er darunter die graue Uniform eines konföderierten Offiziers trug, komplett mit quastenbehangenem Säbel.
Healey runzelte desinteressiert die Stirn. »Sie sind jetzt also Soldat.«
Stolz zog Weaver sich den stramm über seinem gewaltigen Bauch spannenden Rock zurecht. »So ist es. Und nicht nur ich. Geben Sie acht, Healey!«
Er wickelte das Bündel aus. Zum Vorschein kam ein nagelneuer Offizierssäbel in einer glänzenden Stahlscheide. »Der ist für Sie. Mir ist durchaus nicht entgangen, welch unschöne Behandlung Sie von Mr. Beaulieu zu erdulden gezwungen waren. Betrachten Sie dies als kleine Kompensation.«
Verwirrt schaute Healey erst auf den Säbel vor sich, dann wieder zu Weaver und sagte irritiert: »Das – das ist gewiss sehr aufmerksam, Sir. Doch mir ist unklar … ich meine, ich bin überhaupt kein Offizier.«
Weaver lachte volltönend. »Doch, weil ich Sie zu einem mache. Sie sollen ja nicht als Einziger hier zu kurz kommen. Von morgen an sind Sie Captain der South Carolina State Militia.«
»South Carolina? Ich – verstehe nicht.«
»Gegenwärtig fehlt mir die Zeit, Ihnen alles erschöpfend zu erklären, denn ich werde dringend erwartet. Nur so viel, damit Sie nicht gänzlich konfus sind, während sich ringsum Geschichte erfüllt: Der – Tag – ist – da!« Der Verleger betonte jedes Wort einzeln und fuhr dann voller Enthusiasmus fort: »Um neun nehmen wir Prinz Friedrich als Faustpfand gefangen, zur Mittagsstunde dann trifft aus Savannah das 62. Regiment ein und vollendet das Werk. Die Preußen treiben wir dahin zurück, wo sie herkamen. Und die Nigger behalten wir. Ihnen stehen für Ihre treuen Dienste zwölf Sklaven zu. Ich kümmere mich persönlich darum, dass Sie exzellente Exemplare erhalten. Kommen Sie jetzt mit, Sie wollen doch sicher dabei sein, wenn ich dem preußischen Thronfolger seine Niederlage verkünde.«
Schweigend erhob Healey sich. Er trat hinter dem Schreibtisch hervor, nahm den Säbel an sich und betrachtete versonnen die Waffe. Erst dann wandte er sich wieder Weaver zu und sagte in vollkommener Ruhe, aber mit stechender Intensität: »Ich wollte etwas Richtiges tun. Etwas Gutes. Ich bin Ihnen zu aufrichtigem Dank verpflichtet, Sir, weil Sie mir die Möglichkeit dazu geben.«
Er zog den Säbel aus der Scheide und richtete die Spitze der Klinge auf den vorgewölbten Leib des Verlegers. Perplex zuckte Weaver zurück. »Was soll der Unsinn!«, keuchte er hervor.
»Sie kommen mit mir«, befahl Healey. »Der Prinz soll alles erfahren, aus Ihrem Munde. Werfen Sie Ihre Waffe fort.«
Weaver blickte unsicher auf die Klinge, die auf ihn wies, dann in das Gesicht seines Gegenübers. »Gut. Wie Sie wollen«, grollte er. Er führte die rechte Hand an den Griff seines Säbels, behutsam und bedacht darauf, keine verdächtige Bewegung zu machen. Plötzlich aber riss er die Waffe aus der Scheide und griff an. Hektisch versuchte Healey, den Hieb zu parieren, doch er hatte noch nie in seinem Leben gefochten. Einmal nur klirrten die Klingen
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