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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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nächsten Tag ebenso wenig Ruhe finden wie an allen anderen Tagen seit Antietam.
     
    * * *
     
    Niemand hätte in seinem Gesicht lesen und seine Gedanken erraten können. Der junge Mann mit dem prächtigen strohblonden Schnurrbart stand, gekleidet in die Paradeuniform des 1. Ostpreußischen GrenadierRegiments, am weit geöffneten Fenster in der Bel-Étage des Hôtel Borussia und sah hinab auf den nunmehr wieder menschenleeren nächtlichen Prinzenplatz. Er verfolgte, wie zwei Lampenanzünder ihre Leitern nacheinander an jede der Straßenlaternen lehnten, die in regelmäßigen Abständen zwischen den Palmen rings um den Platz aufgestellt waren, und die Gasflammen entzündeten. Ansonsten rührte sich nichts an dem Ort, wo noch eine Stunde zuvor Neugierige dicht gedrängt gestanden hatten.
    »Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte eine Stimme hinter ihm vorwurfsvoll.
    Kronprinz Friedrich drehte sich um. »Verzeih mir, Vater. Ich fürchte, ich war mit meinen Gedanken für einen Moment anderswo.«
    »Das habe ich gemerkt«, brummte Wilhelm, König von Preußen, Markgraf zu Brandenburg, souveräner und oberster Herzog von Schlesien, Herr von Karolina. Der Herrscher saß zurückgelehnt auf einem Canapé, den hohen roten Stehkragen der Generalsuniform geöffnet, und studierte ein Schriftstück. »Ich sagte, dieser Major Pfeyfer hat seine Aufgabe vorbildlich erfüllt. Ein Attentat ist gänzlich ausgeschlossen, schreibt er in seinem Rapport, und ich pflichte seinen Ausführungen bei. Deine Befürchtungen waren folglich unbegründet.«
    Er legte das Dokument auf dem Beistelltisch neben der Tasse mit heißer Schokolade ab. »Du kannst den Bericht natürlich auch selber überprüfen, falls du noch Zweifel hegst.«
    Der Prinz blickte kurz auf das Papier, machte aber keine Anstalten, die Hand danach auszustrecken. »Mein Verdacht war keineswegs völlig aus der Luft gegriffen. Und niemand weiß das besser als du, Vater«, wandte er ein. »So mancher wird dir nie vergeben, dass du die Revolution in Baden ’48 niedergeschlagen hast. Viele, die den Militärgerichten damals entkommen konnten, sind nach Amerika geflohen. Da ist durchaus denkbar, dass einer von ihnen die Gelegenheit ergreift, Rache zu nehmen.«
    »Dieser ganze Verdruss wäre uns erspart geblieben, hätten wir uns einfach an Bord der Korvette
Gazelle
auf die Reise begeben. Aber nein, du musstest ja diesen Einfall mit der
Great Eastern
haben, der uns nichts als Ärgernisse bescherte.«
    »Aber indem wir uns an Bord des berühmtesten britischen Schiffes auf die Reise begaben, haben wir die Öffentlichkeit Englands mit einem günstigen Eindruck für uns einnehmen können«, verteidigte der Thronfolger merklich gekränkt seine Idee.
    König Wilhelm verzog den Mund. »Es ist ja hinlänglich bekannt, dass du von allem Englischen begeistert bist. Und von allem Liberalen. Am liebsten würdest du Preußen lieber heute als morgen in eine Kopie Englands verwandeln.«
    »Das ist nicht wahr, Vater! Ich –«
    »Reden wir nicht davon!«, bestimmte der König kurzerhand. »Hast du dafür gesorgt, dass Major Pfeyfer eine Einladung erhält?«
    »Ich habe es veranlasst, ganz nach deinen Anordnungen.«
    »Recht so. Wenn er schon wegen deiner Flausen solche Ungelegenheiten auf sich nehmen musste, soll er dafür wenigstens Anerkennung erhalten.«
    König Wilhelm schloss die Augen. Er war müde und ausgelaugt von den Anstrengungen dieser Reise; doch das allein war es nicht, was ihm zusetzte. Er fühlte sich unbehaglich in dieser Provinz.
    Nie zuvor war ein regierender preußischer Monarch nach Karolina gekommen. Seine bloße Anwesenheit, aber auch jedes noch so geringfügige Detail seines Auftretens, war von unschätzbarem Gewicht in diesen unsicheren Zeiten. Als Soldat hatte er für derartige diplomatische Erwägungen nicht viel übrig, als König hingegen war er sich ihrer Tragweite vollauf bewusst. Er musste eine gute Figur abgeben, auch wenn es ihm so wie bei seiner Ankunft am Vormittag schwerfiel, die Contenance zu wahren. Nachdem er nämlich mit der
Gazelle
eingetroffen war und in einer offenen Kutsche durch das Spalier der Menschenmenge durch die Straßen der Stadt fuhr, hatte er aus der Masse öfters Missfallenskundgebungen vernehmen müssen, von denen Buhrufe noch die harmlosesten gewesen waren. Er wusste, dass mancher seiner Untertanen ihm keine Sympathie entgegenbrachte.
    Nirgends aber konnte die Abneigung im ungünstigsten Falle so schlimme Folgen haben wie in Karolina.
    Der König

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