Die Fahrt des Leviathan
diesem Bismarck, den du vor unserer Abfahrt zum Ministerpräsidenten ernannt hast«, argwöhnte Kronprinz Friedrich.
Der König fixierte seinen Sohn mit einem missbilligenden Blick. »Meine eigene Idee«, sagte er bestimmt.
»Wäre es der Einfall dieses unerfreulichen Junkers, würde ich mich weigern«, erwiderte der Prinz grimmig. »Aber meinem König und Vater muss ich mich fügen.«
Zufrieden zog der König an der Zigarre und ließ den duftenden Rauch in einer großen Wolke durch seine Lippen entweichen. »Ich habe nichts anderes erwartet. Meinen Entschluss konnte ich dir bedauerlicherweise nicht vor der Abreise mitteilen. Deine Mutter und deine Frau hätten sonst nichts unversucht gelassen, mich davon abzubringen. Sie hätten mir ganz gewiss unterstellt, ich wollte dich nur von den Regierungsgeschäften in Berlin fernhalten.«
Der Kronprinz sah seinem Vater direkt in die Augen. »Wären sie damit denn im Irrtum?«
König Wilhelm antwortete nicht und führte die Zigarre wieder an den Mund. Durch das Fenster hallten die Schritte der Wachposten vor dem Hotel herauf.
26. Oktober
Eine Kutsche nach der anderen fuhr am hell illuminierten Regierungspräsidium vor. Ihnen entstiegen Damen in prachtvollen Ballkleidern und Herren in Galauniform oder Frack; durch ein Spalier fackeltragender Soldaten schritten sie die Treppe des Eingangsportals empor. Wer immer in Karolina in Amt und Würden stand oder eine bedeutende gesellschaftliche Stellung innehatte, war an diesem Abend anwesend. Eine Unzahl Schaulustiger verfolgte das Geschehen auf dem Prinzenplatz, durch eine Postenkette auf gebührendem Abstand gehalten.
In der gesamten Provinz hätte man keinen besseren Ort für den Ball zu Ehren des Königs finden können als das Regierungspräsidium, das weit mehr als ein schlichter Verwaltungssitz war. Schinkel selbst hatte als Architekt Sorge dafür getragen, dass der palastartige Bau auch jedem nur denkbaren repräsentativen Anlass gerecht wurde. So hatte er im Zentrum einen großen Prunksaal platziert, der dem Weißen Saal des Berliner Schlosses frei nachempfunden war, und ihn mit einem Kranz kleinerer, aber nicht minder sorgfältig gestalteter Säle umgeben, die untereinander allesamt verbunden waren und so für jeden Anlass eine würdige Umgebung und großzügig bemessenen Raum boten.
Das tausendfach durch geschliffene Kristalle gebrochene Licht der riesigen Kronleuchter erfüllte den Großen Saal. Da die mächtigen Lüster keine schwächlich flackernden Kerzen trugen, sondern gleißende Gasflammen, war alles taghell erleuchtet. Schmuck und Seidenkleider der Damen wetteiferten in ihrem Glanz mit den Epauletten und Orden, die von den Herren zur Schau getragen wurden.
Während das Orchester für unaufdringliche Untermalung mit Melodien von Gaspare Spontini sorgte, defilierten die eintreffenden Gäste an König und Kronprinz vorbei, durch einen Zeremonienmeister mit Namen und Titeln angekündigt.
Vor dem Monarchen und dem Thronfolger vollführten die Damen mehr oder weniger gekonnte Hofknickse, die Herren verbeugten sich angemessen tief oder nahmen mit knallenden Hacken Haltung an, je nachdem, ob sie Zivilisten oder Uniformträger waren.
Der König absolvierte die nicht enden wollende Begrüßungsprozedur mit routinierter Vollendung. Er hatte in seinem langen Leben schon so viele Bälle und Empfänge erlebt, dass er die Förmlichkeiten im Schlaf beherrschte. Er lächelte höflich, wechselte mit jedem Gast, der vor ihn trat, einige inhaltslose, aber freundliche Worte und hatte ein Auge darauf, dass sein Sohn es ihm nicht nur gleichtat, sondern auch seinen Groll verborgen hielt. Gleichzeitig musste er achtgeben, dass seine eigene Mimik nichts von seiner Irritation erahnen ließ. Die vielen schwarzen Gesichter verwirrten ihn sehr. Er konnte sie nicht auseinanderhalten, so sehr er sich auch bemühte.
Das Herz schlug Wilhelm Pfeyfer bis zum Hals. Unruhig ging er zwischen den anderen wartenden Gästen im Vestibül vor dem Großen Saal auf und ab, zog sich immer wieder die Galauniform zurecht und vergewisserte sich zum fünften Mal vor dem Spiegel, dass jedes Stück seiner Kleidung vorschriftsmäßig saß. Die Ehre, die ihm an diesem Abend erwiesen wurde, machte ihn nervös.
Nach wenigen Minuten, die ihm aber wie eine zäh verrinnende kleine Ewigkeit erschienen, war es endlich so weit. Er betrat den Saal, zutreffend angekündigt als Major Wilhelm von Pfeyfer. Das missfiel ihm, aber er konnte es nicht verhindern und
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