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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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musste es hinnehmen.
     
    »Ah! Major von Pfeyfer, es ist mir eine Freude, Sie nun auch in persona kennenzulernen«, begrüßte ihn der König. »Ich habe Ihren Bericht gelesen und möchte Ihnen meine Anerkennung aussprechen. Dies selbstverständlich auch im Namen meines Sohnes.« Er wandte sich kurz zur Seite und bedachte den Kronprinzen mit einem strengen Blick.
    »Ich danke Eurer Majestät und Eurer Hoheit. Doch ich habe nur meine Pflicht erfüllt, wie es jeder preußische Offizier tun würde«, sagte Pfeyfer. Er hoffte, das ihm der vor Aufregung trockene Hals nicht plötzlich die Stimme rauben würde.
    »Gewiss«, pflichtete der König ihm bei. »Nur könnte nicht jeder seine Pflicht so gut erfüllen. Seien Sie daher meines Dankes versichert.«
    Mit einem leichten Neigen des Kopfes entließ er den Major, der noch einmal die Hacken zusammenschlug, eine Drehung nach links vollführte und dann abtrat wie auf dem Exerzierplatz. Niemand konnte es ihm ansehen, doch er war erleichtert. Sein ständiger Begleiter während des vergangenen Tages war die nagende Befürchtung gewesen, dass ihm bei der Begegnung mit seinem Monarchen ein Patzer unterlaufen könnte. Nun erst beruhigten sich seine angespannten Nerven. Er brauchte jetzt zunächst einmal dringend etwas zu trinken.
     
    Kurz nach halb neun war das Defilee der Gäste abgeschlossen und der König schritt mit der Gattin des Oberpräsidenten von Neukammer in die Mitte des Saals, um mit dem ersten Tanz den Ball zu eröffnen. Mit einer schwungvollen Leichtfüßigkeit, die niemand bei einem Mann seines fortgeschrittenen Alters erwartet hätte, führte er die junge und äußerst reizvolle Frau zu Walzerklängen über das Parkett. Aufmerksame Beobachter registrierten dabei die nervösen Blicke des Oberpräsidenten, denn hinter vorgehaltener Hand sagte man dem König nach, immer noch die Gunst schöner Damen zu suchen und zu finden, wann immer sich eine Gelegenheit bot.
    Sobald es die Etikette zuließ, kamen rasch weitere Paare hinzu; die Musik vermengte sich mit dem Rascheln von hundert Ballkleidern. Das Fest hatte begonnen.
     
    Healey ging durch die feierlich dekorierten Säle. Die Anwesenheit so vieler Menschen in sichtlich bester Laune sorgte dafür, dass er sich seiner beständig trüben Stimmung nur um so deutlicher bewusst wurde. Zudem kam er sich unwillkommen vor. Dieses Gefühl hatte er häufig, aber heute war es besonders ausgeprägt.
    Nach seinem Eintreffen war es ihm gerade noch gelungen, ein Missverständnis abzuwenden. Ohne sein Eingreifen in letzter Minute hätte der Zeremonienmeister ihn unter dem Namen seines verstorbenen Vorgängers angekündigt. Als er dann vom Vestibül in den Saal geschritten war, geschah es mit der korrekten Vorstellung als Alvin H. Healey, Esquire, Generalbevollmächtigter der Richmond-Handelsgesellschaft. Pflichtgemäß hatte er sich vor König und Kronprinz verbeugt, die ihn aber ohne weiteren Wortwechsel ziehen ließen, da sie offenbar nichts mit ihm anzufangen wussten.
    So durchstreifte Healey nun also die Räume, bemerkte von sich selbst überrascht, dass ihn die Gegenwart der vielen Farbigen nicht einmal befremdete, und fragte sich, wie bald er wohl wieder gehen konnte, ohne negativ aufzufallen.
    Ein wenig Vergnügen bereitete ihm allein der Anblick der zahlreichen schönen Frauen. Es war allerdings ein Vergnügen mit fadem Beigeschmack, da er fest überzeugt war, für alle diese Schönheiten schlichtweg Luft zu sein.
    Healey seufzte innerlich. Er konnte nicht einmal zum Genuss des angeblich die Laune hebenden und reichlich vorhandenen Sekts Zuflucht nehmen, da er keinen Alkohol trank. Der Abend drohte lang zu werden.
     
    »Der König
hat
mir ins Dekolleté gestarrt!«, beharrte Amalie fassungslos.
    »Ein Hofknicks hat halt so seine Tücken«, musste sie sich von der erheiterten Rebekka belehren lassen, »und ganz besonders mit einem schulterfreien Kleid. Aber deswegen hätten Sie doch bestimmt nicht auf diese herrliche Toilette verzichtet, oder?«
    Auf diese Idee wäre Amalie nie gekommen, denn das Kleid hatte sie vom ersten Moment an begeistert. Die Schneiderin hatte ein kleines Wunder vollbracht und in Windeseile das nicht bezahlte prächtige Ballkleid einer amerikanischen Kundin aus Atlanta passend umgearbeitet. Der Zufall wollte, dass es aus nachtblauer Seide gefertigt war, die im Zusammenspiel mit Amalies heller Haut nahezu schwarz wirkte, während die dunkelhäutige Schuldirektorin eine schneeweiße Robe trug. Dass jede

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