Die Fahrt des Leviathan
»Gestatten Sie, dass ich vorstelle. Das ist Rebekka Heinrich, Direktorin der Karolinischen Höheren Töchterschule. Und ich bin Amalie von Rheine, Lehrerin an jener Anstalt. Sehr erfreut, Herr Healey.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, versicherte er eifrig und deutete zwei Verbeugungen an.
Rebekka las die Visitenkarte in Amalies Hand und fixierte Healey durchdringend. »Von der Richmond-Handelsgesellschaft? Dann haben Sie gewiss viel Arbeit.«
»Um die Wahrheit zu sagen, nein. So gut wie keine«, gestand er und versuchte dabei nervös, Rebekkas Blicken auszuweichen. Er atmete sichtlich auf, als er sich wieder Amalie zuwenden konnte, die ihn nach der Bedeutung des Mittelinitials in seinem Namen fragte.
»Es steht für den Mädchennamen meiner Mutter, Hoffstede«, eröffnete Healey beflissen. »Sie erzählt gerne, dass in einer Stadt Norddeutschlands, deren Name mir ständig entfällt, ein Verwandter dieses Namens lebt, der dort einige Berühmtheit als Dichter genießt. Ist er Ihnen möglicherweise bekannt, Fräulein von Rheine?«
Amalie ließ die Karte in ihr Handtäschchen gleiten. »Ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen, Herr Healey. Poesie ist meine schwache Seite, mir liegt das Gitarrenspiel mehr.«
»Die Gitarre ist ein wundervolles Instrument«, versicherte Healey enthusiastisch. Er hätte zweifellos noch weitere lobende Worte gefunden, doch just in diesem Moment kam ein massiger älterer Herr mit einer etwas jüngeren Dame am Arm vorbei.
Er schaute Healey im Vorübergehen so finster an, dass der Amerikaner verstummte und sich erst wieder zu sprechen traute, als der Unbekannte in der Menge verschwunden war.
»Den ganzen Abend geht das schon so«, klagte Healey. »Jedes Mal, wenn dieser Gentleman in meiner Nähe erscheint, habe ich das Gefühl, er würde mich am liebsten mit einem Fußtritt vor die Tür setzen. Dabei kenne ich ihn doch nicht einmal!«
Rebekka Heinrich schürzte die Lippen zu einem kühlen Lächeln. »Es könnte daran liegen, dass Sie für ihn die Personifizierung des Kriegsgegners darstellen. Bei dem Herrn handelt es sich um Benjamin van Bloemendaal, den hiesigen Konsul der Vereinigten Staaten. Als Geschäftsführer der Richmond-Handelsgesellschaft sind Sie daher sein inoffizieller Kollege und offizieller Feind in einer Person«, erläuterte sie, um dann im Plauderton hinzuzufügen: »Ihren geschätzten Vorgänger hatte er übrigens zu einem Pistolenduell gefordert, dem Mr. Miller nur durch sein rechtzeitiges Ableben entrinnen konnte. Mr. van Bloemendaal ist als exzellenter Schütze bekannt.«
Augenblicklich wich die Farbe aus Healeys Gesicht und er wurde kreidebleich.
»Doch lassen Sie sich davon bloß nicht den Abend verderben«, sagte Amalie und winkte einen Sektgläser tragenden Soldaten heran. »Sie trinken doch sicherlich ein Glas mit uns?«
Healey zögerte eine Sekunde, beteuerte dann aber schnell, dass er sich nichts Schöneres vorstellen könne. Jeder nahm sich ein Glas vom Tablett, Rebekka brachte einen doppeldeutigen Trinkspruch auf die Gesundheit des Königs aus. Unentschlossen führte Healey das Glas an den Mund, doch als er sah, wie die beiden Frauen den Sekt genossen, nahm er betont nonchalant einen großen Schluck. Sofort weiteten sich seine Augen und sein Gesicht wechselte erneut die Farbe, wobei es nun einen grünlichen Ton annahm. »Wenn mich die Damen bitte entschuldigen«, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor und entfernte sich.
Amalie sah ihm schmunzelnd hinterher, als er wie von einer Hornisse gestochen davonlief und sich eine Hand vor den Mund hielt. »Ich habe den Eindruck, er verträgt keinen Alkohol. Aber ansonsten ein recht sympathischer Mensch.«
»Meine Sympathie für einen Repräsentanten der Konföderierten Staaten hält sich in Grenzen«, befand die Direktorin knapp und leerte ihr Glas.
Amalie hob fragend die Augenbrauen. »Sie hegen eine Abneigung gegen die Südstaaten, Rebekka?«
»Das wäre der falsche Ausdruck. Vielmehr verabscheue ich sie von ganzem Herzen. Eine Nation, besser gesagt eine Möchtegernnation, die gänzlich auf Sklaverei aufgebaut ist, kann ich nur verabscheuen.« Sie hielt das leere Sektglas zwischen den Fingern, als wollte sie es jeden Moment zerdrücken wie eine überreife Frucht. »Millionen und Abermillionen Neger werden dort täglich mit der Peitsche auf die Felder der Plantagen getrieben. Man darf sie erniedrigen, prügeln, töten. Sie sind rechtloses Eigentum ihrer Herren, wie Vieh. Und das nur
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