Die Fahrt des Leviathan
belustigt, nachdem er auf einer Strecke von kaum hundertfünfzig Fuß fünfmal zum Verweilen genötigt worden war.
»Den Reiz des Ungewohnten«, erklärte Amalie. »Wo ich herkomme, da gilt es als unfein und vulgär, seine Waren auf diese Weise auszustellen. Selbst in Berlin habe ich kaum eine Handvoll Geschäfte gesehen, die es wagten, ihr Angebot derartig zu präsentieren. Aber ob nun vulgär oder nicht – ich liebe es!«
Kaum hatte sie das gesagt, da blieb sie abermals abrupt stehen. »Sehen Sie doch nur, Georg!«, rief sie entzückt aus und deutete auf die Auslage im Schaufenster des Juweliers Howardson. Rings um ein Schild, das auf Deutsch und Englisch darauf hinwies, dass es sich bei allen Stücken um Imitate handele und die Originale in einem einbruchsicheren Panzerschrank verwahrt seien, schimmerten im Schein der Straßenlaternen allerlei auf schwarzem Samt arrangierte Schmuckstücke. Doch nicht die vor Edelsteinen funkelnden Colliers oder die Perlenketten hatten Amalies Aufmerksamkeit in Beschlag genommen, sondern ein filigranes Weißgoldarmband mit einem halben Dutzend fein gearbeiteter kleiner Anhänger.
»Ist das nicht wunderschön?«, seufzte sie betört. »So etwas Herrliches habe ich noch nie gesehen. Ach, dieses Armband ist ein Traum!«
Täubrich verstand nichts von Schmuck, doch er wusste den dezenten Wink zu deuten und wollte zustimmen. Dann jedoch sah er das kleine Kärtchen, auf dem in zurückhaltend geschwungener Handschrift der Preis vermerkt war.
»Fünfhundert Thaler?«, entfuhr es ihm entgeistert. Er fürchtete, dass seine Reaktion uncharmant oder sogar grob wirken mochte; doch sein Entsetzen über den exorbitanten Preis des Schmuckstückes, an dem Amalie in so deutlicher Weise Gefallen gefunden hatte, war aufrichtig. Verlegen suchte er nach Worten. »Amalie, ich … nun, Sehen Sie … ich –« Er verschluckte sich vor Nervosität und musste sich erst zweimal räuspern, ehe er weitersprechen konnte: »Amalie, Gott weiß, dass – dass ich nichts lieber täte, als Ihnen dieses Armband zu schenken. Aber …«
Amalie musste arg an sich halten, um über Täubrichs geradezu ängstliches Vorantasten nicht in helles Lachen auszubrechen. Aber er tat ihr auch ein wenig leid, weil sie sah, wie er sich quälte. Daher beschloss sie, ihm die Last abzunehmen, und sagte mit verständnisvollem Lächeln: »Sie haben nicht genügend Geld, das möchten Sie doch zum Ausdruck bringen. Oder?«
Der Arzt nickte bedrückt. »Bitte verstehen Sie mich nicht verkehrt. Ein Geschenk für Sie wäre mir jeden einzelnen Thaler und noch mal so viel wert. Aber diese Summe – selbst wenn ich ein Jahr lang nur von Brotrinden lebe und jeden Groschen beiseitelege, bekomme ich keine fünfhundert Thaler zusammen.«
Er ließ verschämt den Kopf hängen. Nun musste Amalie wirklich lachen: »Oh, Georg! Wenn Sie sich nur sehen könnten, Sie stehen da wie ein begossener Pudel. Und das ganz ohne Grund! Sicher, das Armband ist schön. Aber das ist ein Sonnenuntergang auch. Und verlange ich deswegen von Ihnen, mir einen Sonnenuntergang zu kaufen?«
Sie ergriff seine Hand und zog ihn mit sich vom Schaufenster fort. »Kommen Sie, wir wollen weitergehen. Und Sie versprechen mir, nicht jede meiner unvermeidlichen weiblichen Begeisterungsäußerungen auf die Goldwaage zu legen, ja?«
»Ich verspreche es«, beteuerte er erleichtert. Er bot Amalie seinen Arm an und sie gingen untergehakt die ins gelbliche Licht der Gaslaternen getauchte Straße hinab.
In einem entlegenen Winkel von Täubrichs Bewusstsein aber setzte sich der unwiderstehliche Wunsch fest, Amalie genau dieses Armband zu schenken.
Es war dunkel um Healey. Das Geschehen auf der Bühne nahm er nicht wahr. Er hing allein seinen finsteren, ziellos durcheinanderjagenden, sich im Nichts verlierenden Gedanken nach.
Nachdem er bei Rebekka Heinrich vorstellig geworden war und sich trotz seiner zertrümmerten Seelenverfassung so gut er konnte entschuldigt hatte, war er in die Oper gegangen, oder eher noch getaumelt. Ein Teil von ihm wollte der Realität trotzen und zwanghaft an dem Verlauf des Abends festhalten, wie er ihn sich hoffnungsvoll zwei Tage lang ausgemalt hatte. Der Rest von ihm beugte sich willenlos. Letztlich war ihm gleich, wo er sich befand.
Längst hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Er war abgesondert und allein inmitten von vierhundert Menschen, sah nichts, hörte nichts. Seine Welt bestand nur aus Schwärze.
Und dann passierte etwas Seltsames.
Die
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