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Die Fahrt des Leviathan

Die Fahrt des Leviathan

Titel: Die Fahrt des Leviathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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es gut sein sollte, eine eigene Reederei ins Leben zu rufen.
    Aber bitte, wenn es die Gentlemen in Richmond glücklich macht,
dachte er schließlich. Er zog das Friedrichsburger Adressbuch aus der Schublade, um einen geeigneten Notar ausfindig zu machen. Nach Möglichkeit wollte er diese Angelegenheit noch an diesem Vormittag hinter sich bringen, denn am Nachmittag hatte er Wichtigeres zu tun. Und wenn die Verkäuferin in der Blumenhandlung nicht so beharrlich darauf bestanden hätte, dass der gewünschte aufwendige Strauß unmöglich so kurzfristig zusammengestellt werden könne, dann hätte er schon gestern an die Tür der Höheren Töchterschule geklopft.
     
    »Perfekt!«, lautete Rebekkas Urteil.
    Sie stand hinter Amalie, die vor dem Frisiertisch saß und im Spiegel zunehmend begeistert verfolgte, wie die Direktorin mit wenigen Handgriffen ihr die Haare zu einer Frisur von eleganter Schlichtheit aufsteckte.
    »Perfekt ist gar kein Ausdruck«, sagte die Lehrerin hingerissen. »Das sieht schlicht traumhaft aus!«
    Rebekka lächelte bescheiden. »Loben Sie nicht mich. Die schönste Frisur bleibt wirkungslos auf dem Kopf einer reizlosen Frau, das wissen wir ja. Aber Sie gut aussehen zu lassen, ist fast schon zu einfach.«
    Sie zupfte noch eine etwas widerspenstige blonde Strähne in die richtige Position, trat dann einen Schritt zurück, begutachtete kritisch das Resultat ihrer Inspiration und befand das Werk für vollendet.
    Amalie dankte ihr überschwänglich und stand auf, um ihre Kleidung mit einigen schmückenden Accessoires zu vervollständigen. »Herrlich! Georg wird Augen machen, wenn er mich gleich abholt«, prophezeite sie fröhlich.
    »Das wird er mit Sicherheit«, pflichtete Rebekka bei. Sie machte eine kurze Pause, und als sie weitersprach, klang ihre Stimme plötzlich nicht mehr so unbeschwert wie zuvor: »Sagen Sie, Amalie … Sie verbringen recht viel Zeit mit Doktor Täubrich, nicht wahr?«
    »Oh ja! Er ist wirklich –«
    Mitten im Satz brach Amalie ab, als sie des ernsten Gesichtsausdrucks ihrer Direktorin gewahr wurde. Mit einem Mal kam ihr ein Gedanke, der sie erschaudern ließ. »Um Himmels willen, Sie meinen – ich würde durch mein Verhalten meiner Reputation, der Reputation unserer Schule Schaden zufügen?«
    Schnell hob Rebekka beruhigend die Hände. »Nein, nein, nein. Machen Sie sich in dieser Hinsicht keine Gedanken«, beschwichtigte sie. »Doktor Täubrich ist trotz seiner jungen Jahre ein respektierter Mediziner und steht absolut nicht im Ruf der Leichtlebigkeit. Niemand wird schlecht von Ihnen denken, wenn Sie sich an seiner Seite zeigen.«
    »Ja, aber … was ist es dann, das Sie beunruhigt?«
    »Ihre Zukunft, Amalie«, antwortete Rebekka eindringlich. »Bedenken Sie, was unsere Dienstvorschriften sagen: Lehrerinnen müssen ledig sein. Heiraten wir, dann verlieren wir unsere Lehrerlaubnis. Bei romantischen Tändeleien drückt der Staat in Karolina zwar beide Augen zu, hierzulande ereifert sich niemand über eine Liaison … aber würden Sie sich damit begnügen? Und umgekehrt, würden Sie sich je durchringen können, Ihren Beruf aufzugeben? Beides scheint mir bei Ihnen schwer vorstellbar. Deshalb mache ich mir Sorgen um Sie.«
    Amalie biss sich auf die Unterlippe. Unterschwellig hatte sie schon seit ihrer ersten Verabredung mit Doktor Täubrich diesen Widerstreit in sich empfunden, doch sie hatte ihn stets aus ihrem Bewusstsein verdrängen können. Nun aber war es ausgesprochen; das Gespenst würde sich nicht mehr verscheuchen lassen.
    In sich verspürte sie Zorn aufbrodeln. Es war der Hass auf die grauen, gesichtslosen Beamten im fernen Berlin, deren Hirnen diese sinnlose Vorschrift entsprungen war. Aber sie hatte nicht vor, wegen eines absurden Paragraphen entweder ihre Gefühle oder ihre Ideale zu opfern. Sie würde eine Lösung für dieses unlösbar scheinende Dilemma finden. Irgendwann.
    »Ich brauche Zeit«, meinte sie leise.
    »Zeit haben Sie, meine Liebe«, versicherte Rebekka. »Auf jeden Fall, bis unsere Schule wieder ihre Pforten öffnet. Und das dürfte nach Lage der Dinge noch ein wenig dauern.«
    Ein Stockwerk tiefer läutete die Türglocke. Sofort hellte sich Amalies Miene wieder auf.
    »Würden Sie öffnen, Rebekka?«, fragte sie freudig und lief hinüber zur Kommode. »Halten Sie bitte ihn kurz hin. Ich muss doch noch meine Handschuhe heraussuchen. Und wo habe ich bloß das Rosenwasser gelassen?«
     
    Geschwind eilte Healey die Allee entlang und beschleunigte seine

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