Die Fahrt nach Feuerland
Während die anderen Orangensaft tranken, war Jan konsequent bei seinem Schottischen geblieben. »Ja, und ich? Ich kann mich auf unbestimmte Zeit beurlauben lassen. Natürlich habe ich mit meinem Institutsdirektor gesprochen, bevor ich Ihnen schrieb, Peer. Ich bin Staatsangestellter, der Staat hat mein Studium bezahlt – woher sollte mein Vater als Kläranlagenwärter das Geld nehmen?! Über mich bestimmt also der Staat! Aber ich habe in Professor Karel Nowracky einen Gönner. Er gibt mich frei. Ich könnte in vierzehn Tagen wieder in Hamburg sein – wenn Sie mich wollen, Peer!«
»Wir wollen es miteinander versuchen!« Losskow blickte auf Helena Sydgriff. Sie sah ihn an, interessiert, forschend, wie zu einer Diagnose bereit. »Bis zum Jahresende kann jeder noch sagen: Danke! Ohne mich! – Gut, fangen wir also mit dem Wichtigen an: Wir werden eine Wohnung suchen, wo Sie, Luzi, Blondie und – Stinker, wohnen können.«
»Warum zögern Sie bei Stinker?« fragte Jan.
»Diesen Kosenamen gedenke ich in Zukunft zu vermeiden.« Losskow schlug den ersten Schnellhefter auf. Er enthielt die Liste der bisher eingegangenen Spenden. »Die Miete und der Lebensunterhalt sind durch Geldspenden von Zeitungslesern gesichert. Wie ich Randler kenne, wird er weiter trommeln. Aber das sage ich gleich: Champagner und Whisky müßt ihr euch vom eigenen Geld kaufen! Auch Parfüm, Luzi! Der Spendenfonds bestreitet nur die Kosten für einen normalen Haushalt. Morgen fahren wir zu einer Fleischfabrik, die mir Trockenfleisch nach einem besonderen Verfahren angeboten hat.« Er blickte hoch und sah in gespannte Gesichter. Jeder spürte, daß das große Abenteuer bereits begonnen hatte. »Von euch brauche ich eine Aufstellung, was ihr an eigenen Forschungsinstrumenten mitbringt.«
»Eine große Tasche mit Medikamenten und einem chirurgischen Notbesteck«, sagte Helena Sydgriff. »Das ist alles. Mehr brauche ich nicht. Meine Forschungsobjekte seid ihr.«
Trosky lachte. »Da haben Sie sich etwas vorgenommen!«
Nach zwei Wochen trafen sie in Hamburg wieder zusammen. Jetzt, um endgültig dazubleiben. Losskow hatte eine Wohnung gefunden und gemietet: Vier Zimmer, Küche, Diele, Bad und ein Balkon mit Elbeblick. Es war eine vornehme Gegend; hier lagen die in Parks eingebetteten Villen der Superreichen, Oasen der Stille jenseits der lärmenden Großstadt. Aber Losskow hatte – wieder mit Randlers Hilfe, so ein Journalist hat das Ohr überall und steckt seine Finger in alles rein – die Wohnung in einem Altbau gefunden, der im nächsten Jahr abgerissen werden sollte. Man wollte dann zwei ganz exklusive Apartmenthäuser bauen, nur zwei Etagen hoch, mit vier Wohnungen, die unter der Hand verkauft wurden. Bis dahin stand der Altbau leer. Er war zwar noch funktionstüchtig, aber Tapeten und Anstriche bewiesen, daß jahrelang nichts in das Haus hineingesteckt worden war.
Luzi betrachtete die Wohnung mit kritischem Blick. »Wie lange sollen wir hier wohnen? Bis Februar nächsten Jahres? Ihr werdet euch wundern!«
Und man wunderte sich. Lucrezia kaufte Tapeten und Leim, lieh sich einen Tapeziertisch, Quast und Schneide, schleppte Farbtöpfe heran, mischte und mixte. Und dann stand sie auf der Leiter, weichte die alten Tapeten ab, besserte den Putz mit Spachtelmasse aus, strich Makulatur und sottete die neuen Tapeten ein.
Jan Trosky mußte helfen. Zum erstenmal reichte er Tapeten an und klopfte sie mit einer flachen Bürste, zog mit einer Gummirolle die Nähte nach und drückte die Bahnen auf Stoß zusammen. Ein paarmal ging das schief, die Tapeten warfen Falten, und Luzi sagte dann sanft:
»Was bist du doch für ein Trottel, Jan! Die klimatischen Veränderungen am Südpol siehst du voraus, aber eine Tapete kriegst du nicht gerade hin!«
Nach einer Woche war die Wohnung ein Schmuckkasten. Jan, Luzi und Blondie gaben eine Party. Da die Möblierung sich auf das allernotwendigste beschränkte, saß man auf dem Fußboden, trank einen Cocktail, den Helena gebraut hatte, und aß Schaschlik, für den Trosky verantwortlich war. Lucrezia war sehr stolz. Losskow hatte sie gelobt, hatte ihr einen Kuß gegeben und gesagt: »Ehrlich, das hätte ich nicht erwartet!«
Hinter der verführerischen Fassade Lucrezias verbarg sich ein wahres Energiebündel. Randler, der für alles seinen Kommentar hatte, meinte: »Das sind die Gefährlichen, Peter! Du glaubst ein ganz zerbrechliches Püppchen vor dir zu haben – und plötzlich erweist die sich als so knallhart,
Weitere Kostenlose Bücher