Die Fahrt nach Feuerland
daß einem die Lider flattern!«
Die Vorbereitungen liefen nun auf vollen Touren. Jede Woche einmal brachte Randler ›Neue Nachrichten aus Feuerland‹, eine Rubrik, die schon fast zur festen Einrichtung geworden war. Sie hatte nur einen Fehler: Da Randler natürlich auch Fotos brachte – von Peter beim Rudertraining, von Trosky, wie er aus Seewasser Trinkwasser filterte, von Lucrezia und Helena, wie sie die Segel refften, war die Anteilnahme der Leser sehr groß. Bei Helena und Lucrezia gingen vierundvierzig ernsthaft gemeinte Heiratsanträge ein: allein drei steinreiche Witwer bewarben sich um ihre Gunst. Sogar Trosky bekam neun Angebote. ›Haben Sie Muskeln!‹ schrieb eine Frau aus Neumünster. ›Und wie kraftvoll Ihre Schenkel sind! Wir sollten uns unbedingt kennenlernen. Ich habe eine Eisengroßhandlung geerbt, die eine Goldgrube ist. Wir könnten zusammen leben, wo Sie wollen! Von mir aus auch in Feuerland …‹
In wenigen Wochen gewöhnte man sich so aneinander, daß man meinte, die anderen schon seit vielen Jahren zu kennen. Längst war man per du, nahm kein Blatt vor den Mund und sagte einander auch unangenehme Dinge. Zu einer echten Freundschaft gehört Aufrichtigkeit.
Jan Trosky hatte sich ein Mädchen angelacht, eine schmale großäugige Verkäuferin in einer Curry-Wurst-Bude auf der Reeperbahn. Er hatte sich nach einem Kinobesuch eine Wurst gekauft, und das Mädchen hatte sein Grinsen erwidert. Sie lächelte zurück, das war alles. Morgens um 4 Uhr, als das Mädchen Feierabend hatte und die Rolläden der nach heißem Fett stinkenden Bude heruntergelassen wurden, stand Trosky zwei Häuser weiter in einer Türnische und wartete. Sie sah ihn sofort, als sie vorbeiging, blieb stehen und blickte ihn mit seltsam leeren Augen an.
»Du wirst nicht abgeholt?« fragte Trosky.
»Nein«, sagte sie. Ihre Stimme war kindlich.
»Dich erwartet keiner?«
»Nein.«
»Deine Eltern?«
»Sind in Apensen.«
»Wo ist denn das?«
»Westlich von Buxtehude.«
»Aha! Ich heiße Jan.«
»Ich bin Anita.«
»Du wohnst hier allein?«
»Möbliert.«
Er faßte sie unter. Sie schauderte zusammen, aber sie lief nicht weg.
»Hast du Angst?« fragte er.
»Nein! Aber ich bin todmüde. Stehe da über zehn Stunden.«
»Sauerei!«
»Aber ehrlich. Ich will keine Nutte werden! Da könnt' ich Geld machen! Aber ich will nicht. Und du?«
»Ich kümmere mich ums Wetter.«
»Red keinen Quatsch!«
»Ich schwöre es dir, Anita.«
Sie starrte ihn wieder an und lächelte dann schwach. »Sag bloß, du bist einer von denen, die immer die falschen Wettervorhersagen machen.«
»So ähnlich.«
»Das ist ja zum Piepen!« Sie drückte seinen Arm. »Wie wird das Wetter morgen?«
»Sonnig. Strahlend wie im Paradies! Muß ja sein; wir haben uns doch kennengelernt.«
Als wäre es immer so gewesen – sie arbeitet, er holt sie ab –, gingen sie durch die stille, atemholende Stadt, dem Morgendämmern entgegen. Sie hatte ein kleines, sauberes Zimmer, diese Anita aus Apensen, ein gutes Bett und war voll samtener Zärtlichkeit.
»Sie nimmt Rauschgift«, verriet Trosky später, als er Losskow von Anita berichtete. »Mittelhart! Tabletten, Pillen, Dragees. An die Heroin-Nadel ist sie zum Glück noch nicht gekommen. Aber auch die Tabletten gewöhne ich ihr noch ab.«
»Wir können sie nicht mitnehmen«, sagte Losskow hart. »Damit das von Anfang an klar ist. Sag ihr jetzt schon, daß im Februar alles zu Ende ist.«
»Das kann ich nicht. Das würde sie umhauen.«
»Und im Februar, Jan? Was du da machst, ist eine Riesendummheit! Wir haben uns alle von persönlichen Bindungen gelöst, und du gehst eine neue ein!«
»Ich bin kein Asket. Ich muß eine Frau haben.«
»Es gibt in Hamburg tausendfach Gelegenheiten für eine lose Verbindung!«
»Ich brauche das, wie andere sich rasieren. Es ist für mich geradezu eine kosmetische Angelegenheit.«
»Und später auf dem Boot?«
»Da tobe ich mich am Meer aus!« Trosky lachte. »Der Ozean! Für mich ist das Meer weiblich: die See!«
Während es Helena kalt ließ, was Trosky in seiner Freizeit unternahm, zog bei Lucrezia Gewitterstimmung auf. »Wer ist eigentlich diese Anita?« fragte sie Losskow. »Mit der liegt er in jeder freien Minute im Bett, nicht wahr? Ist sie so hübsch?«
»Ich kenne sie nicht.«
»Und mich fragt keiner?«
Losskow sah Luzi verblüfft an. »Was soll das heißen?«
»Bin ich aus bemalter Pappe? Oder habe ich Blut in den Adern? Denk mal darüber nach, Peer!«
Am
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