Die Fahrt nach Feuerland
eingefangen hat! Ich habe mich durchgeschlagen, vom Tschad quer durch Afrika bis hier auf die Insel. Ist das eine Leistung? Sie können sich das später mal auf der Karte ansehen. Und jetzt habe ich den Coup gestartet, der mir ein neues Leben garantiert. Ausgerechnet in Tarrafal gelingt mir das! Verrückt, was?! Aber nun muß ich weg, nicht weit, nur nach Maio. Aber das geht nicht mit einem amtlichen Motorboot! Deshalb werden Sie uns hinübersegeln.«
»Total verrückt!« sagte Lucrezia und setzte sich auf einen Hocker. »Da ist selbst Schwimmen für Sie sicherer! Was glauben Sie, welchen Rummel es hier geben wird, wenn unser Boot verschwunden ist. Wir sind ja nicht allein.«
»Ich weiß.« Der Gelockte winkte ab. »Wir werden jetzt an Bord holen, was Sie eingekauft haben, und dann sofort ablegen. Die Felsenküste ist voller Buchten und Bimshöhlen. So eine Lavalandschaft bietet großartige Verstecke. Dort warten wir ab, bis es Nacht ist, und segeln dann voll hinüber nach Maio. Wo sehen Sie da Schwierigkeiten?«
»Sie kennen unsere Männer nicht!« sagte Helena laut.
»Ich unterschätze keinen. Aber mich auch nicht.« Der Gelockte riß die Tür auf. Der kleine, dickliche Glatzkopf, der bisher kein Wort gesprochen hatte, rannte die Treppe hinauf. »Hoffen Sie nicht auf die Zeit!« sagte der Große. »Die Herren kommen so schnell nicht zurück. Der Polizeichef ist ein Schwätzer und immer glücklich, wenn er jemanden verhören kann. Je unschuldiger der Delinquent, um so besser; um so länger kann man fragen! Das ersetzt dem guten Mann das Fernsehen und den gesellschaftlichen Kontakt, den es hier praktisch nicht gibt. Es kann noch lange dauern, bis Ihre Männer kommen, meine Damen!«
»Man wird uns beobachten!«
»Nicht um diese Zeit.« Der Gelockte lächelte behaglich.
»Der Kaufmannslehrling! Er wird alles erzählen! Er ist weggelaufen. Er muß Sie gesehen haben!«
»Nichts wird er sagen! Ich habe ihm durch das Fenster meine Pistole gezeigt. Solche Zeichen versteht hier jeder.«
Der Glatzkopf kam zurück, schwer beladen, und warf die Kartons in die Kabine. »Das ist übrigens Jorge Silva«, sagte der Große. »Ich heiße Maurice Depallier – was nicht heißen soll, daß die Namen richtig sind. Aber wir hören darauf.« Silva rannte wieder nach oben. Ohne Murren verrichtete er die Schwerarbeit, offenbar erkannte er Maurice als Chef an und schien glücklich zu sein, in seinem Schatten leben zu dürfen. »Wie wäre es, wenn wir die Segel hißten?«
Helena und Lucrezia wechselten einen schnellen Blick. Depallier sah ihn und grinste.
»Wie macht man das?« fragte Helena ruhig.
»Genauso habe ich mir das gedacht, meine Damen. Darf ich Ihnen helfen?« Er machte zwei Schritte nach vorn, riß Helena an der Bluse hoch und bog ihr den linken Arm nach hinten, bis sie aufstöhnte. Noch hielt sie den Schmerz aus, aber er durfte den Arm keinen Millimeter weiter ziehen. »Frauen sind gegen Schreie empfindlich. Stimmt das?«
»Ich bin es nicht.« Lucrezia schlug die langen Beine übereinander.
Silva kam wieder zurück, schwitzend, keuchend und warf die Kiste mit dem Frischwasser in eine Ecke. Aber er gönnte sich keine Verschnaufpause, er hetzte sofort wieder an Deck. Die Zeit begann nun doch, knapp zu werden. »Ich bin mit Schreien aufgewachsen. Wir wohnten neben einer Großschlächterei. Als Kind schlich ich mich oft in die Hallen, wenn die Tiere getötet wurden. Schweine in Todesnot können schrecklich schreien, sie wittern das Blut, sie ahnen ihr Ende, sie sind nicht so dumm, wie man sagt. Schreien – das trifft mich nicht. Darauf bin ich trainiert.«
Maurice starrte sie entgeistert an, lockerte den Griff bei Helena und fuhr sich mit der freien Hand durch die Locken. »Warum wollen Sie Komplikationen, meine Damen? Sie segeln uns nach Maio, und ich verspreche Ihnen, daß Sie dann frei sind und ungehindert zurückfahren können. Es sind 60 Kilometer hin, 60 Kilometer zurück, dazwischen die Wartezeiten.«
»Was heißt Wartezeit?« fragte Helena.
»Wir werden uns ein paar Tage verstecken müssen, bis die Suche nach Ihnen langweilig wird. Wenn wir Glück haben, kommt ein Sturm auf. Dann wird man sagen: Da ist nichts mehr zu machen; das Schiff ist verloren. Unter uns sind 4.000 Meter Meerestiefe … Meine Damen, warum wollen Sie Schmerzen erleiden und müssen dann doch segeln, weil Ihnen nichts anderes übrigbleibt? Ist es nicht besser, gleich vernünftig zu sein und freiwillig die Segel zu setzen?«
Jorge Silva
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