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Die Fahrt nach Feuerland

Die Fahrt nach Feuerland

Titel: Die Fahrt nach Feuerland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schrie Lucrezia hinterher. Dann setzte sie sich auf das Kabinendach und starrte über den Ozean. »Was nun?«
    »Wir müssen ein paar Taue flicken und wenigstens ein Segel hissen. Ich schlage vor, wir nehmen das Genua I. Das bringt uns die meiste Fläche und hält uns am besten im Wind.«
    »Ich könnte den Kerl erwürgen!« knirschte Lucrezia. »Ehe wir hier wieder wegkommen … Mit diesem Vorsprung gelingt ihm die Flucht!«
    »Erwürge nicht, sondern spar deine Kräfte fürs Spleißen. Die Taue zu knoten hat keinen Sinn, wir müssen eine dauerhafte Verbindung haben! Wir können es uns nicht leisten, daß uns das Segel plötzlich wegfliegt!«
    Den ganzen Tag über saßen sie im Schatten einer Plane und spleißten die Taue. Worüber sie bei der monatelangen Ausbildung immer geschimpft hatten und was vor allem Trosky als himmelhohen Unsinn bezeichnet hatte, nämlich das alte Handwerk des Tau- und Segelflickens wieder zu lernen, wurde jetzt zur einzig möglichen Rettung. Das Boot schaukelte in der Dünung, trieb am Anker herum, aber Stunde um Stunde verrann, und an Land zeigte sich kein Mensch. Es mußte eine völlig einsame Gegend sein. Auch Fischerboote tauchten nicht auf. Dreimal opferte Helena eine Notrakete und schoß aus der Signalpistole eine rote Leuchtkugel in den wolkenlosen Himmel. Ohne Erfolg. Niemand reagierte auf dem Land oder von See aus.
    Die Arbeit des Spleißens war mühsam, riß Schrammen in die Hände, ließ die Haut aufplatzen, vor allem Lucrezias Fingerkuppen bluteten, trotz des Spleißhakens, den sie benutzte.
    Gegen Mittag drehte sie durch. Helena hatte seit zwei Stunden darauf gewartet, hatte das Zucken in ihrem Gesicht beobachtet, die flackernden Augen, das nervöse Scharren der bloßen Füße über Deck, das Beben in dem fast nackten, schönen Körper. Jetzt entlud sich der Stau. Lucrezia warf ihr Tau hin, hieb mit den Fäusten auf die Deckplanen und begann hysterisch zu schreien. Es waren keine Worte oder Sätze, nur sich überschlagende, kreischende Laute, begleitet von einem wilden Zucken des Leibes und einem Pendeln des Kopfes. So kreischte sie ein paar Minuten, bis Helena aufstand, an einer Leine einen Eimer ins Meer ließ und ihn über ihr auskippte.
    Der kalte Guß ernüchterte Lucrezia. Ihr Schreien brach sofort ab, der Kopf fiel auf die Brust, das Wasser rann an ihr hinunter, wie knochenlos sank sie in sich zusammen. Helena ging wortlos zu ihrem Tau zurück, setzte sich und nahm das Spleißen wieder auf.
    Nach einer Weile Schweigen hob Lucrezia den Kopf.
    »Ich habe mich verdammt zickig benommen, nicht wahr?« Ihre Stimme war rauh und hatte den erotischen Reiz verloren.
    »Vergessen.« Helena zeigte auf das Tau. »Mach weiter, Luzi!«
    »Die Sonne. Diese schwere feuchte Wärme. Die Stille. Ich konnte einfach nicht mehr.«
    »Ich weiß.«
    »Ich mußte schreien.«
    »Ist doch gut, wenn dir jetzt leichter ist.«
    »Jetzt fühl' ich mich leer. Mir war, als müßte ich platzen. Kennst du das Gefühl?«
    »Ja.«
    »Aber du hast nie geschrien, Blondie.«
    »Weißt du das so genau?«
    »Wann denn?«
    »Man kann auch in die Kissen schreien. In ein Hundefell. In einen Segelhaufen, in eine Taurolle. Manchmal habt ihr alle unter Deck geschlafen, wenn ich schrie: bei der Nachtwache.«
    »Und ich habe immer gedacht, dich könnte nichts erschüttern. Du wärst ein Eisberg. Ich habe gedacht: Die hat da drinnen kein Herz, sondern einen gut geölten Motor.«
    »Auch den braucht man in bestimmten Situationen, Luzi.«
    »Ich werde mich nie so beherrschen können.«
    »Das verlangt auch keiner von dir.«
    »Aber von dir!«
    »Wie kämen wir sonst hier weg?«
    Lucrezia beugte sich über ihr Tau und fuhr fort zu spleißen. Ihre Finger zitterten und hatten noch keine Kraft. »Erzähl den anderen nicht, wie ich mich benommen habe«, sagte sie kläglich. »Bitte, Blondie!«
    »Es geht keinen etwas an, es bleibt unter uns.« Helena blickte hinauf in den unbarmherzig glutenden Himmel. Kaum vorstellbar, daß er noch vor zwei Tagen grau und geradezu unsichtbar gewesen war, während der Sturm mit unbegreifbarer Wucht über Meer und Land tobte. »Wir werden am Abend das Genua I setzen können und gute Fahrt haben.«
    »Bestimmt!« Lucrezia ballte die Hände um ihr halbgespleißtes Tau. »Und wenn ich wieder durchdrehe, wirf mich ins Meer.«
    »Bestimmt nicht«, sagte Helena ruhig. »Das nächste Mal haue ich dir rechts und links eine runter. Das wirst du eine Woche lang spüren.«
    »Der Eisberg!« Lucrezia

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