Die Fahrt Zu Den Sternen
stellen sollte, begann sie zu verstehen, warum Gill und Pal sie so sehr abgeschirmt hatten.
Judit ihrerseits segnete die Männer im stillen dafür, daß sie all die herzzerreißenden Bitten um Hilfe und Heilung tief am Grunde des allerschwersten Kartons vergraben hatten, wo sie Acorna mit ein wenig Glück nie entdecken würde. Sie wäre niemals fähig gewesen, sich diesen Hilfeschreien zu verschließen… aber auch nur ein einziges Prozent derer zu heilen, die sie brauchten, würde ihre Energie so sehr auslaugen, daß sie nichts anderes mehr zu tun in der Lage wäre. Wir müssen eine bessere Lösung für sie finden, dachte Judit. Wir können sie nicht einfach weiter vor der Welt verstecken – die Welt holt sie ja schon ein, und sie wird sie kaputtmachen.
Aber natürlich, wurde Judit sich mit einem Stocken ihres Atems und einem eigentümlichen Schmerz in ihrem Herzen bewußt, lag die Lösung auf der Hand – hatte es die ganze Zeit schon getan. Wenn sie sich nicht Acornas Wunsch widersetzt hätten, loszuziehen und ihr Volk zu finden, hätte sie die Maganos-Mondbasis schon längst verlassen, um weit entfernte Regionen des Weltalls zu erforschen, wohin selbst Müllpost noch nicht vorgedrungen war. Und jetzt, wo ihre Komzentrale eine dieser Mitteilungen empfangsbestätigt hatte, würde, wer auch immer sie geschickt hatte, mit Sicherheit schon auf seinem oder ihrem Weg nach Maganos sein… um von Journalisten, Scharlatanen und unheilbar Kranken gefolgt zu werden. Das Märchen, daß Acornas Heilkräfte verschwunden waren, als sie zur Erwachsenen heranreifte, würde in dem Moment auffliegen, in dem Acornas weiches Herz das erste Mal gerührt wurde und sie mit ihrem Horn eine kranke oder verletzte Person kurierte.
Als einzige Lösung blieb also letztlich nur, daß Acorna Maganos verließ, bevor man sie hier oben aufspürte. Und selbst wenn sie niemals zurückkehrte… Nein, sie würde zurückkehren! Judit blinzelte ihre Tränen fort und machte sich daran, den verlorenen Sproß einer extraterrestrischen Spezies, den sie wie eine jüngere Schwester zu lieben gelernt hatte, davon zu überzeugen, daß sie auf der Stelle abreisen mußte.
Es war letzten Endes gar keine so schwierige Aufgabe. Also nahm sie Verbindung mit Pals Abwehrraketen-Lieferanten auf, wobei sie sich
vorkam, als ob sie etwas
Verabscheuungswürdiges täte, und sagte ihm, Herr Li wünsche, daß der Einbau dieser Verteidigungsanlage länger brauchen solle.
Scheinheilig erzählte sie daraufhin Pal, daß sie einen Anruf erhalten habe; es gäbe irgendein Problem mit der Lieferung.
Dasselbe erzählte sie auch Calum, der daraufhin in die Luft ging, und Acorna, die es ihr damit dankte, daß sie den rebellischsten Ausdruck annahm, den sie auf diesem lieblichen, friedfertigen Gesicht jemals gesehen hatte. Judit kam zu dem Schluß, daß diese neuerliche Enttäuschung das gewünschte Ergebnis zeitigen würde.
So war es auch. Calum und Acorna schmiedeten heimliche Pläne, verstauten die wenigen Dinge an Bord, die sie auf diese Geschichte machende Reise mitzunehmen wünschten, und starteten, ohne irgendeine Erlaubnis abzuwarten. Die Acadecki war in jeder praktischen Hinsicht ohnehin schon seit Wochen abflugbereit gewesen. Sogar die Hydroponikbecken und -beete hatte man komplett neu bestückt, da einige der ursprünglichen Pflanzen mangels Nutzung oder hinsichtlich ihrer Größe außer Kontrolle geraten waren. An Stelle der ausgetauschten Kulturen war insbesondere eine Auswahl von Acornas Lieblingsgewächsen eingepflanzt worden. Die Luzerne hatte seitdem schon dreimal abgeerntet werden müssen und hatte auch jetzt schon wieder Rasenhöhe.
Da die Acadecki schon seit langem in einer der Startbuchten der Dehoney-Kuppel gelegen hatte, hatte es nicht die mindesten Schwierigkeiten bereitet, an Bord zu gehen.
Ebensowenig hatte die Flugleitung in der Anfrage nach Startfreigabe für den Raumer irgend etwas Ungewöhnliches gesehen, da die Acadecki ständig Testflüge zur Erprobung dieser, jener oder einer anderen Verbesserung ihrer Triebwerke, Kommunikationsanlagen oder was auch immer unternahm. Calum und Acorna waren daher schon auf und davon und im sternenübersäten Firmament verschwunden, während die ihnen Nächsten und Liebsten noch schliefen.
In den ersten paar Stunden pfiff Calum die ganze Zeit über fröhlich vor sich hin oder lachte sich darüber ins Fäustchen, daß sie auf so gerissene Weise entkommen waren. Es erleichterte Acornas schlechtes Gewissen, daß er
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