Die Fahrt Zu Den Sternen
können, daß ihre Verantwortung ihr gegenüber damit ein Ende gefunden hatte.
Und was war mit ihr selbst? Von ihr erwartete man, daß sie sich über alle Maßen freute, mit ihrem eigenen Volk wiedervereint zu werden. War das schließlich nicht genau das, worum es bei dieser ganzen Expedition überhaupt gegangen war? Jetzt mußte sich Acorna der Tatsache stellen, daß sie sich nie wirklich Gedanken darüber gemacht hatte, wie die Reise einmal zu Ende gehen könnte. Der Planet, den Calum als ihre wahrscheinliche Heimatwelt ausgemacht hatte, lag einfach in so weiter Ferne, daß sie ihn sich nie wirklich als handfeste Realität vorzustellen vermocht hatte. Und jetzt, ohne die langen Monate des Wartens und der Vorbereitung, mit denen sie gerechnet hatte, erwartete man urplötzlich von ihr, daß sie über die Aussicht, diesen Fremden in die Arme geworfen zu werden, jubilieren sollte. Sie mochten ja genauso aussehen wie sie, aber was würde es sonst noch geben, das sie miteinander verband? »Linyaari«, flüsterte sie in den Wind, ließ sie sich das unvertraute Wort auf der Zunge zergehen. »Linyarrri?
Liiinyar?«
Das Wort weckte keine Erinnerung in ihr, ebensowenig wie jene Silben ihrer Muttersprache, von denen Gill und Rafik beharrlich behaupteten, daß sie sie gesagt hätte, als sie sie das erste Mal gesehen hatten. »Avvi«, hätte sie damals laut gesagt.
»Lalli.« Jetzt waren das nur unsinnige Silben für sie, nichts mehr.
Calum war gerade in die Berechnung der genauen Schubstärke vertieft, die erforderlich sein würde, um ihr Raumschiff mit dem zusätzlichen Gewicht an Bord vom Boden abheben zu lassen, mit dem es in Kürze beladen werden sollte, als Acorna müde und verschwitzt von ihrem langen Lauf zur Acadecki zurückkehrte. Sie verbrauchte den Großteil ihrer Frischwasser-Bordvorräte dafür, sich hastig, aber geradezu übergründlich zu duschen, da sie Angst hatte, der Anblick einer erhitzten, verschwitzten, barbarischen Verwandten würde die anderen Linyaari mit Abscheu erfüllen. Anschließend reinigte sie das verbrauchte Wasser mit ihrem Horn und ließ es in den Vorratstank zurückrieseln. In ein dunkelgrünes Handtuch gewickelt und furchtbar nervös wegen des bevorstehenden Treffens und dem, was es für sie bedeuten mochte, unterwarf sie die magere Garderobe, die ihr zur Verfügung stand, einer kritischen Begutachtung. An Kleider hatte sie nun wirklich nicht gedacht, als sie ihre Flucht von Maganos vorbereitet hatten. Das einzig wirklich Wichtige war zum damaligen Zeitpunkt gewesen, endlich mit der Suche nach ihrer Heimat zu beginnen und den gutgemeinten Versuchen ihrer Freunde zu entkommen, Acornas Aufbruch immer wieder zu verzögern. Jetzt allerdings, als sie die vorhandene Kleiderauswahl mit zunehmender Bestürzung durchwühlte, möglicherweise als eine Art Sublimierung ihrer Furcht vor dem, was die nächsten Stunden ihr bringen mochten, gewann die richtige Bekleidung einen Stellenwert, den sie für Acorna noch nie zuvor gehabt hatte.
Alles, was sie auf die Acadecki mitgebracht hatte, waren schlichte Bordoveralls und ein wildes Sammelsurium schriller Verkleidungen wie jene, in der sie sich als eine Didi ausgegeben hatte. Diese Verkleidungen waren samt und sonders aufwendig und mit Zierat überladen, um zu den großen, prächtig geschmückten Hüten zu passen, mit denen sie ihr Stirnhorn verdecken konnte; Acornas Geschmack aber entsprachen sie ganz und gar nicht. Sie würde ihre neugefundenen Verwandten keinesfalls in etwas empfangen, das sie sonst als vulgär und protzig empfand – aber wären die Linyaari nicht gekränkt, wenn sie sich ihnen lediglich in einem Alltags-Bordoverall zeigte? Was würden derart hochzivilisierte Wesen wohl tragen? Zogen sie sich zum Essen um, so wie die Figuren in den historischen Vids? Vielleicht kleideten sie sich ja auch in schimmernde Energiefelder aus Licht und würden sowieso alles, was Acorna anzog, drollig und provinziell finden…
Calum wurde von einer hochgewachsenen, schlanken, völlig aufgelösten Frau aus seinen Berechnungen herausgerissen, die nichts weiter trug als etliche Meter eines grünen Badetuchs, eine silberfarbene Mähne und jede Menge glitzernder Wassertröpfchen. »Calum, das ist einfach unmöglich!«
verkündete sie. »Ich weiß noch nicht einmal, wann sie hier eintreffen oder was sie anhaben werden! Was ist, wenn sie mich nicht mögen? Was, wenn sie denken, daß ich barbarisch und provinziell aussehe? Was ist, wenn… und ich kann nicht mal
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