Die Fahrt Zu Den Sternen
mit ihnen reden«, rief sie aus, wobei sie ihre Arme verzweifelt in die Luft warf. »Ich erinnere mich nicht mehr – «
Das um ihren Leib geschlungene Handtuch geriet ins Rutschen, doch mit einem hastigen Rettungsgriff konnte sie es gerade noch rechtzeitig packen, um das Schlimmste zu verhindern. »Ich kann mich an kein einziges Wort ihrer Sprache erinnern. Meiner Sprache. Sie sind Telepathen. Ich aber nicht, also was ist, wenn mich das in ihren Augen zu einer Art geistig Behinderter macht? Du hast gesagt, daß ihnen die Entscheidung, ob die Menschen eines Bündnisses mit ihrem Volk würdig sind, sehr schwergefallen ist, und schau dir an, mit wem sie es da zu tun hatten – Gill, Judit, Rafik, Herrn Li…
wenn nicht einmal die gut genug für die Linyaari sind, wie soll dann erst ich ihren Ansprüchen je genügen können?« Ihre Augen waren silberne Linien, von dunklen Teichen der Verzweiflung umgeben, und sie begann jene leisen, wiehernd-winselnden Töne von sich zu geben, die einem Schluchzen so nahe kamen, wie es ihr überhaupt möglich war.
»Jetzt mal ganz langsam, Mädchen«, forderte Calum, »was du da redest, ist nicht im mindesten vernünftig.«
»O doch, das ist es!« begehrte Acorna auf. »Ich bin sogar sehr vernünftig. Ich habe das alles sehr gründlich durchdacht, Calum, und – es – wird – nicht – funktionieren! Ich kann ihnen einfach nicht gegenübertreten, verstehst du das denn nicht?«
Mit durch die Luft wirbelnden Silberhaaren drehte sie sich ruckartig von ihm weg, und er begriff, daß nicht alle Feuchtigkeit auf ihrem Gesicht von der Dusche herrührte, die sie gerade genommen hatte. Er wünschte bei Gott, daß Judit hier wäre, sie hätte genau gewußt, wie sie Acorna wieder hätte beruhigen können. Oder Gill, oder sogar Rafik! Warum mußte es ausgerechnet er sein, an dem diese Aufgabe hängenblieb?
Ein Mann spezialisierte sich ja nicht etwa deswegen auf Mathematik, weil er eine seltene Begabung für zwischenmenschliche Beziehungen hatte. Alles, wofür Calum ein Talent hatte, waren Vernunft und Logik, und so unternahm er einen weiteren Versuch, eben diese anzuwenden.
»Acorna, woher willst du denn wissen, daß du keine telepathischen Fähigkeiten besitzt? Möglicherweise funktioniert das ja auch nur zwischen Angehörigen deines Volks, und da du schließlich noch nie in der Nähe von anderen deiner Art warst…«
»Ich weiß es eben«, fiel sie ihm ins Wort. Sie hatte sich mittlerweile ein zweites Handtuch über Kopf und Schultern geworfen und rubbelte kräftig, wie um ihr Haar zu trocknen; die mehrfachen Lagen des flauschigen Gewebes ließen ihre Stimme nur gedämpft durchdringen. »Ich hätte bestimmt schon längst mal etwas gespürt, wenn ich wirklich Gedanken lesen könnte. Es würde mich ganz und gar nicht überraschen, wenn die Linyaari mich bei der Geburt ausgesetzt hätten. Du weißt doch, daß auch die alten Griechen das früher gemacht haben, mit mißgebildeten Neugeborenen und sogar mit überzähligen Mädchen – und für die Linyaari bin ich ganz bestimmt überflüssig, meinst du nicht? Was sollten sie denn auch mit irgendeiner dahergelaufenen Barbarin, die nicht einmal ihre Sprache sprechen kann? Aber da sie ja ein so hochtechnisiertes Volk sind, haben sie mich natürlich nicht einfach irgendwo auf einem Berggipfel zurückgelassen. Eine Weltraumkapsel ist doch ein sehr viel geeigneteres Mittel, unerwünschten Nachwuchs loszuwerden, meinst du nicht auch? Schließlich war diese Gebirgsgeschichte ja nicht unbedingt zuverlässig –
denk bloß mal an Ödipus.«
»Und wer soll das sein?« Jetzt wußte Calum überhaupt nicht mehr, wovon die Rede war.
»Also wirklich, Calum«, tadelte Acorna ihn mit frostiger Herablassung aus den dumpfen Tiefen ihrer Handtücher heraus, »liest du denn nie was? Er wurde ausgesetzt, weil eine Prophezeiung geweissagt hat, daß er seinen Vater ermorden würde. Aber ein Schafhirte hat ihn gefunden und ihn wie sein eigenes Kind bei sich aufgezogen. Eines Tages ist er dann auf einer Kreuzung seinem wirklichen Vater begegnet, und sie haben sich gestritten, und natürlich wußte Ödipus nicht, wer er war, also hat er ihn getötet und dann… nun, danach hat er sich jedenfalls höchst unschicklich benommen, und das alles nur, weil er nichts von seiner wahren Herkunft wußte. Am Ende hat er sich sogar eigenhändig die Augen ausgestochen, glaube ich.
Du verstehst also, warum ich die Linyaari nicht treffen kann.«
»Ich verstehe nur, daß du eine
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