Die Fahrt Zu Den Sternen
Fabrikbesitzer sorgten natürlich dafür, daß die ohnehin nur auf dem Papier gezahlten Löhne der Kinder dermaßen niedrig waren und die ihnen darauf angerechneten Abzüge für Nahrung und Unterkunft so hoch ausfielen, daß sie ihre Schuld niemals
»abzuarbeiten« vermochten, sondern für alle Zeit in Schuldknechtschaft verblieben. Nur wenige dieser Kinder überlebten bis ins Erwachsenenalter. Und wer es doch schaffte, war von den Jahren schlechter Ernährung und verkrüppelnder Schwerstarbeit so entkräftet, daß er nicht mehr genug Energie aufzubringen vermochte, um sich gegen das System aufzulehnen, das ihn versklavt hatte.
Als Erbe eines Finanzimperiums, das sich mit dem von Hafiz Harakamian messen konnte, hatte Delszaki Li sich zunächst aus jeglichen geschäftlichen Verbindungen gelöst, die in irgendeiner Verbindung mit dem Kezdeter
Kinderarbeitssystem standen. Dann hatte er im geheimen begonnen, den versklavten Kindern auf jede nur mögliche Weise zu helfen. Obschon durch eine zehrende neurologische Krankheit körperlich behindert, die ihn beinahe vollständig gelähmt hatte, war er dennoch brillant und wohlhabend und konnte andere für seine Sache begeistern – unter ihnen Pal Kendoro und seine zwei Schwestern Mercy und Judit. Die Kendoro-Geschwister hatten selbst zu jenen Waisen gehört, die man zur Sklavenarbeit nach Kezdet gebracht hatte. Aber Judit war dem System entronnen, indem sie eines der Stipendien errang, die Delszaki Li eingerichtet hatte, um die Ausbildung der in Schuldknechtschaft versklavten Kinder zu fördern. Und durch harte Arbeit hatte sie bald genug verdient, um auch ihre jüngeren Geschwister freizukaufen. Inzwischen erwachsen, waren alle drei fest entschlossen, jedes Risiko auf sich zu nehmen, um alle Kinder aus der Schuldknechtschaft zu befreien.
Ihre Versuche, auf friedlichem Wege eine Veränderung herbeizuführen, indem sie die versklavten Kinder in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichteten und ihnen so halfen, selbst bessere Lebensbedingungen einzufordern, wurden jedoch von der wohlhabenden Schicht, die Kezdets Regierung kontrollierte, ein ums andere Mal hintertrieben. Als er Acorna begegnete, stand Delszaki Li daher schon am Rand der Verzweiflung. Es schien, als ob höchstens eine gewaltsame Revolution die Kinder würde befreien können – und es hätte schon eines Wunders bedurft, um die fest im Sattel sitzende Regierung von Kezdet zu stürzen.
In Acorna glaubte Delszaki Li nun dieses Wunder gefunden zu haben. Als Halbchinese sah er in ihr eine Ki-lin – eine Vertreterin der legendären Einhörner aus China, deren Erscheinen als Omen für gewaltige und heilsbringende Veränderungen gilt. Die Tatsache, daß sie in Begleitung von drei Asteroidenschürfern kam, bestärkte ihn um so mehr in seinem Glauben, daß der Himmel sie geschickt hatte, um seinem Unterfangen Glück zu bringen. Denn wie der Zufall es wollte, hatte er dringenden Bedarf an genau jener Art Fachwissen, das ihm die Bergleute zu liefern imstande waren.
Schon bevor er Acorna begegnet war, hatte Herr Li nämlich in aller Stille die Erzabbaurechte für Kezdets drei Monde –
Maganos, Saganos und Tianos – erworben, da er in ihnen einen geeigneten Zufluchtsort für die Kinder sah, die er aus den Kezdeter Fabriken und Erzgruben zu befreien suchte. Keine der planetaren Schürfgesellschaften wollte sich mit den Schwierigkeiten abplagen, aufwendige Mondbasen zu bauen, wenn es doch so billig war, auf – oder vielmehr unter – der Oberfläche des Planeten Kinderarbeit einzusetzen. Aber Lis Vorhaben war ebenso ehrgeizig wie altruistisch. Er beabsichtigte, sein gewaltiges Vermögen einzubringen, um auf den drei Monden Bergbaubasen zu errichten, wo die von ihm befreiten Kinder einen Teil der Zeit arbeiten und den Rest der Zeit Schulunterricht erhalten konnten. Mit Liebe und Fürsorge und ordentlicher Verpflegung versorgt, sollten sie als Erwachsene dann in der Lage sein, die Bergbaukolonien selbst zu übernehmen und sie eigenständig zu führen. Aber bevor er den drei Asteroidenschürfern und ihrem »Mündel« begegnete, dem geheimnisvollen Einhornmädchen Acorna, waren Herrn Lis Pläne so langsam vorangekommen, daß er schon bezweifelte, ob sie noch zu seinen Lebzeiten Früchte tragen würden. Es gab einfach zu viele Probleme, als daß sie ein Mann allein hätte überwinden können: den erbitterten Widerstand der wohlhabenden Familien von Kezdet, die bürokratischen Hindernisse, die ihm von der Kezdeter Regierung
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