Die Falken Gottes
mehr als einmal im Monat zu waschen, doch Dahlgren, der seinen Körper als ein Geschenk Gottes sah, scherte sich nicht um solchen Spott oder dumme Ratschläge.
Im flackernden Kerzenlicht betrachtete Dahlgren die zahlreichen Narben, die der Krieg an seinem Körper hinterlassen hatte. An seiner Hüfte war er von dem Splitter einer Kartätsche verletzt worden, seinen linken Oberarm |81| hatte ein Degen durchbohrt, der Stoß mit einer Pike hatte ihn zwei Zehen gekostet, und ein Musketenschuß hatte sein Bein gestreift und eine Handbreit Haut von seinem Schenkel gerissen.
Dahlgren war in den Krieg gezogen, weil er sein Leben als leer und trist empfunden hatte. Er hatte eine tiefe Sehnsucht nach Gott verspürt, aber dessen Kraft und Wärme nie in sich gefunden. Als die Schweden von ihrem König Gustav Adolf zu den Waffen gerufen worden waren, hatte Dahlgren sein Studium an der Universität von Uppsala abgebrochen und nicht gezögert, sich dem Feldzug anzuschließen. Der König zog für den protestantischen Glauben in den Krieg, und Ove Dahlgren folgte ihm bereitwillig. Auf deutschem Boden hatte Dahlgren in vielen Schlachten und Scharmützeln immer wieder sein Leben aufs Spiel gesetzt, und erst hier, in unmittelbarer Nähe des Todes, hatte er endlich zu Gott gefunden.
Den feindlichen Reihen Auge in Auge gegenüberzustehen, unter dem Beschuß der Kugeln und Kartätschen voranzustürmen, die ringsherum die Leiber der Kameraden zerfetzten, und vor allem die Ekstase, in einem wilden Schlachtgetümmel Mann gegen Mann zu kämpfen und dabei alle Fesseln der Moral und der Barmherzigkeit zu sprengen – in diesen Momenten hatte Dahlgren eine seltsame Ruhe erfaßt, und er hatte die Kraft Gottes in sich gespürt, die ihn scheinbar unverwundbar gemacht hatte.
Dennoch wäre er im Sommer des Jahres 1631 fast gestorben. In vielen Truppenteilen der schwedischen Armee grassierte der Typhus, und auch Dahlgren wurde bald von blutigen Durchfällen und einem hohen Fieber geschwächt. Vielleicht war aber auch dies als ein Teil von Gottes Plan anzusehen, denn Dahlgren glaubte fest daran, daß ein Mensch erst im Angesicht des Todes die nötige Ruhe erreichte, um die Stimme des Allmächtigen zu verstehen. Gott schickte |82| ihm einen Traum – Bilder, die von diesem Tag an oft wiederkehrten, und in denen Dahlgren sich in einen Falken verwandelte, der über das Land flog und majestätisch mit ausgebreiteten Flügeln durch die Luft glitt, bis sich sein Weg mit dem eines Raben kreuzte, der vor ihm die Flucht ergriff. In seinem Traum wußte er, daß er den Raben töten mußte. Er flog auf ihn zu, stürzte sich mit den Klauen auf ihn und trieb die Krallen in seinen Hals, woraufhin der Rabe blutend zu Boden taumelte.
Zunächst verwirrte Dahlgren der Traum, und er wußte ihn nicht zu deuten. Erst als er darüber mit Vater Anthonis sprach, einem Geistlichen, der ihn auf dem Krankenbett pflegte, erfuhr er, warum Gott ihm die Bilder von dem Falken und dem Raben eingab.
Vater Anthonis, ein überzeugter Calvinist, erläuterte ihm, daß nichts auf der Welt zufällig geschah. Gott würde Dahlgren nicht am Typhus sterben lassen, denn er hatte ihn zu seinem Werkzeug erwählt. Diese Prädestination zeigte sich durch das Traumbild, in dem Gott zu ihm in Symbolen sprach. Der Falke, so vermutete Vater Anthonis, war der himmlische Vogel, der aus dem Dunkel in das Licht geführt wurde und den Raben tötete, der die Abtrünnigkeit und die Blasphemie verkörperte.
Dahlgren gefiel der Gedanke, daß Gott ihn erwählt und ihm einen Auftrag erteilt hatte, wenngleich er nicht wußte, wann der Zeitpunkt kommen würde, diese Pflicht zu erfüllen. Doch so wie Vater Anthonis es vorausgesagt hatte, überstand er den Typhus und konnte das Lazarett bald verlassen. Seine Träume kehrten in unregelmäßigen Abständen zurück, und einige Monate später stieß er bei einem der Krämer, die sich dem Armeetroß angeschlossen hatten, auf eine im Grunde recht unscheinbare Waffe: einen schlicht gearbeiteten Dolch, dessen Klinge aber mit einem Ornament geschmückt war, das den Kopf eines Falken darstellte. |83| Dahlgren erwarb die Waffe, und von jenem Tag an veränderte sich sein Traum. Er blieb der Falke, doch wenn er nun auf den Raben traf, verwandelte er sich in den Dolch, der wie eine Musketenkugel auf den Raben zupreschte und in dessen Herz stieß.
Im Jahr darauf entging er erneut nur knapp dem Tode. Die Armee trug vor der Stadt Lützen eine weitere Schlacht aus. Eine
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