Die Falken Gottes
Gotlands spülte. Das Wetter machte solch eine Reise unberechenbar, und obwohl der Sturm bald abgeflaut war, harrte er nun bereits die zwölfte Nacht in diesem Verschlag aus.
Die Verpflegung an Bord war miserabel. Ein alter Matrose reichte ihm ab und an getrocknetes Fleisch oder gesalzenen Fisch, den Dahlgren zumeist bald darauf erbrach. |76| Auch der Zwieback, den er bei sich führte, war feucht geworden und schmeckte sauer.
Trotz der widrigen Umstände hatte Dahlgren sich zumeist hier auf sein Lager im Frachtraum zurückgezogen und während der Reise kaum ein Wort gesprochen. Er war kein Gefangener, aber er fühlte sich so. Die Jahre im Karzer von Stockholm hatten ihn unempfindlich für die Dunkelheit gemacht. Auf das Oberdeck war er nur ein einziges Mal getreten, als unter der Besatzung ein Fieber ausgebrochen war und der Kapitän die Räume unter Deck mit Schwefel und Wacholder ausräuchern ließ, um die Gefahr einer Infektion einzudämmen.
Die Männer, die hier auf dem Unterdeck arbeiteten oder herumlungerten, beachteten ihn kaum. Wenn sie ihre Tranfunzeln entzündeten, zog Dahlgren sich weiter in die Dunkelheit zurück, so daß er unsichtbar blieb und seine Ruhe fand.
In den Tagen und Nächten, die er hier zwischen den Frachtkisten gekauert hatte, waren seine Gedanken oft an seine erste Überfahrt nach Deutschland zurückgekehrt, die er im Gefolge der Armee des schwedischen Königs unternommen hatte. Siebzehn Jahre waren vergangen, seit er eingeengt zwischen Dutzenden Leibern die Ostsee überquert hatte, um mit vierzehntausend anderen Soldaten in einen heiligen Krieg zu ziehen. Inmitten eines Unwetters waren sie am Strand von Usedom an Land gegangen, wo ihr König auf die Knie gefallen war und ein Gebet gesprochen hatte, während über ihm Blitz und Donner tobten.
Dahlgren erhob sich schwerfällig von seinem Lager. Das Schlingern des Schiffes ließ ihn gegen einen Stapel Holzkisten taumeln. Jemand mit einer Lampe betrat das Unterdeck und rief: »Land in Sicht! Wir sehen die Küste.« Dahlgren hörte ein mehrstimmiges Johlen und Lachen und sah einige Männer eilig die Leiter hinaufstürmen. Er atmete |77| tief durch, sofern dies in diesem fauligen und stickigen Schiffsrumpf überhaupt möglich war, dann stieg auch er auf das Oberdeck.
Obwohl die Sonne von einem Nebelschleier verhüllt wurde, schmerzte das Tageslicht in seinen Augen. Die Luft schmeckte nach Salz. Über der
Vedia
kreisten Möwen. Die Küste mußte sich tatsächlich in der Nähe befinden, davon zeugte auch die Unruhe auf Deck. Zahlreiche Matrosen kletterten die Wanten hinauf und holten die Segel ein oder bereiteten die Entladung der Frachträume vor.
Auf wackligen Beinen begab sich Dahlgren auf das Halbdeck und klammerte sich an den Besanmast, um nicht hinzufallen. Der Nebel löste sich langsam auf, und er glaubte, am Horizont hinter dem Dunst einen Küstenstreifen und den Hafen von Stralsund zu erkennen. Dahlgren wünschte sich nichts sehnlicher, als festen Boden unter die Füße zu bekommen. Gott hatte ihn nicht geschaffen, um die Meere zu bereisen, das war ihm auch während dieser Überfahrt wieder einmal bewußt geworden.
Auf dem Festland würde ihn eine mehrtägige Reise quer durch den Norden der Deutschen Lande erwarten. Dahlgren fühlte sich schwach. Eine Nacht in einem richtigen Bett sowie einige stärkende Mahlzeiten würden ihm gewiß die Kraft geben, seinen Auftrag auszuführen.
Nachdem die
Vedia
im Hafen von Stralsund vor Anker gegangen war, verließ Dahlgren als einer der ersten das Schiff. Neben ihm rollten Matrosen mit Schießpulver gefüllte Fässer auf die Mole, andere trugen Kanonenrohre kleineren Kalibers und Munitionskisten dazu. In den nächsten Tagen würden diese Nachschubgüter auf Frachtkähnen über die Elbe transportiert werden, um zu der schwedischen Armee zu gelangen, die sich an der böhmischen Grenze aufhielt.
Dahlgren rümpfte die Nase. Der Krieg ging bald in sein |78| dreißigstes Jahr. Er selbst hatte fast vierzig Monate lang auf deutschem Boden gekämpft und für die reine Lehre Gottes Blut vergossen. Er war einem Mann gefolgt, den sie wie einen Heiligen verehrt hatten. Inzwischen führte jedoch kein von Gott gesandter König, sondern der schwedische Kanzler diesen Krieg fort – ein Politiker, der sein Volk ausbluten ließ, um Land, Geld und Macht zu erlangen und den Worten des Herrn dabei keine Beachtung schenkte.
Dahlgren verließ die Mole und suchte zunächst einen Geldwechsler auf. Er erkundigte
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