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Die Falken Gottes

Die Falken Gottes

Titel: Die Falken Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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senkte ihre Stimme keinen Deut. »Dann werdet Ihr mich auch aushalten müssen. Außerdem ist inzwischen schon fast die Mittagszeit angebrochen.«
    Ein grantiger Blick traf Anneke. »Genug geschwatzt. Komm jetzt!« sagte Ohlin.
    »Wohin?«
    »Du wirst mich zu der Leiche führen.«
    Anneke versteifte sich. Wenn es einen Ort gab, den sie meiden wollte, dann war das die Senke im Wald, in der sie den Toten zurückgelassen hatte.
    »Nun mach schon!« drängte Ohlin. »Und behaupte nicht, |90| daß das, was du mir in Osnabrück gesagt hast, nur Aufschneiderei gewesen wäre. Ich erkenne eine Lüge, und dir sieht man an, daß du zu Tode erschrocken bist.«
    »Ich werde mich nicht noch einmal in die Nähe dieser Leiche begeben. Niemals mehr.«
    Ohlin grinste. »Wovor hast du Angst? Daß sich der Tote aus seinem Grab erhebt und dich zu ihm hinabzieht?«
    »Genau das habe ich in meinen Träumen gesehen.«
    »Unsinn.« Ohlin langte in seine Wamstasche und schnippte einen Schilling in Annekes Richtung. »Es soll dein Schaden nicht sein, wenn du mir hilfst.«
    Anneke fing die Münze auf und betrachtete sie. »Warum seid Ihr so versessen darauf, die Leiche zu sehen? Vor zwei Tagen habt Ihr Euch einen Dreck um meine Worte geschert. Ihr habt mich behandelt wie ein dummes Kind.«
    »Und das bist du doch auch.« Er schmunzelte. »Nun ja, gewisse Vorfälle, auf die ich nicht näher eingehen möchte, haben mich neugierig gemacht. Ich will diese Leiche sehen, und du wirst mich zu ihr führen.«
    »Woher wußtet Ihr, wo Ihr mich finden konntet?«
    »Du selbst hast mir doch gesagt, daß du hier in der Lengericher Schenke arbeitest.«
    Er hatte recht. Sie hatte davon gesprochen. Anneke spielte mit der Münze zwischen ihren Fingern und fragte sich, ob sie seiner Bitte Folge leisten sollte.
    »Nun setz schon deine Füße in Bewegung«, meinte Ohlin. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Anneke verspürte nicht die geringste Lust, seiner Aufforderung nachzukommen. Sie wußte nicht, was sie mehr abschreckte – die Abscheu, sich noch einmal der Leiche zu nähern, oder der Gedanke, mehrere Stunden in der Nähe dieses geckenhaften Aufschneiders zu verbringen.
    Jede Mühsal hatte ihren Preis. Und sie war nicht gewillt, sich so billig zu verkaufen.
    |91| »Ich will fünf Schillinge von Euch.«
    Ohlin zog die Stirn in Falten. »Wie bitte?«
    »Ich verlange fünf Schillinge. Außerdem werdet Ihr mit mir nach Osnabrück reiten und mich vor Sonnenuntergang wieder heimbringen, damit die Wirtin keinen Wutanfall bekommt.«
    »Verlangen? Du kannst nichts verlangen. Sei dankbar, daß ich dir diesen einen Schilling zugestehe. Immerhin mußte ich schon deine Dienstherrin bezahlen, um dich von deiner Arbeit zu befreien.«
    »Pah!« Anneke spuckte auf die Münze in ihrer Hand und warf sie ihm vor die Füße.
    Er zögerte. »Wofür braucht jemand wie du soviel Geld?« wollte er wissen.
    »Ich will ein Buch kaufen.«
    Ohlin lachte. »Eine Dienstmagd, die ein Buch kaufen will? Das nenne ich wirklich Verschwendung.« Er strich über sein Gesicht, dann sagte er: »Also gut, du sollst fünf Schillinge bekommen. Aber erst, wenn ich die Leiche gesehen habe.«
    »Gebt mir Euer Wort darauf.«
    »Du mißtraust mir?«
    »Gewiß.« Sie streckte ihre Hand aus. »Fünf Schillinge und der Ritt nach Osnabrück.«
    Er schlug ein und meinte zerknirscht: »Das sollst du bekommen.«
    Ohlin saß auf. Anneke lief neben dem Pferd her und führte ihn auf die Straße nach Osnabrück. Zunächst wechselten sie kein Wort. Erst nach einer Weile sagte Ohlin: »Du bist so still geworden. Hast du deine Stimme verloren?«
    Anneke richtete ihren Blick stur geradeaus. »Es gefällt mir nicht, daß ich zu Euch aufschauen muß, wenn ich mit Euch rede. Ihr scheint Euch auf Eurem Pferd wie ein König auf dem Thron zu fühlen.«
    »Stolze Worte für ein Dienstmädchen.«
    |92| Anneke war der Spott in seiner Stimme nicht verborgen geblieben. Ärgerlich erwiderte sie: »Ich arbeite hart – Tag für Tag. Und Ihr? Was leistet Ihr, außer unter die Röcke Eurer Mägde zu kriechen?«
    Ohlin schaute sie erstaunt an, dann grinste er. »Du schaffst es wirklich, mich zu amüsieren.«
    »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Herr Ohlin. Welcher sinnvollen Aufgabe geht Ihr hier in Osnabrück nach? Hat es mit diesem Kongreß zu tun, der schon seit Jahren andauert?«
    »Ich berate die beiden schwedischen Hauptgesandten in juristischen Fragen. Reicht dir das als Antwort? Mehr würdest du ohnehin nicht

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