Die Falken Gottes
worden waren, an das eingefallene, aufgedunsene Fleisch und die schwarze Zunge, die aus seinem Mund gerutscht war. Seit sie mit Ohlin die Leiche aufgesucht hatte, waren an die zehn Tage vergangen, und die Zeit würde den Toten gewiß nicht ansehnlicher gemacht haben.
Aus sicherer Entfernung verfolgte sie, wie Malin Sörenstam sich zu ihrem Bruder hockte. Ab und an streckte Malin die Finger nach der Leiche aus, dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und weinte leise.
Ihre Augen waren noch naß von den Tränen, als sie zu Anneke zurückkehrte. Malin schaute sie traurig an und sagte: »Ich werde jemanden aus Osnabrück schicken, der ihn in die Stadt schafft. Ich will nicht, daß er noch länger hier liegt. Mein Bruder soll ein Begräbnis bekommen, das eines Christenmenschen würdig ist.«
Sie schlugen den Weg zurück zur Schenke ein. Zunächst verfielen sie wieder in das übliche Schweigen, doch es gab eine Frage, die Anneke auf der Seele brannte, und nachdem sie bereits den Großteil der Strecke zurückgelegt hatten, wollte sie endlich eine Antwort. Vielleicht war ihre Neugier vermessen, aber da Ohlin, Malin Sörenstam und die Königin schon bald nach Osnabrück abreisen würden und sie nun hier mit Malin allein war, war dies wohl die beste Gelegenheit.
»Darf ich Euch eine Frage stellen?«
»Gewiß«, erwiderte Malin Sörenstam.
Plötzlich fiel es Anneke schwer, die richtigen Worte zu |267| finden. »Ohlin und die Königin … am schwedischen Hof … haben sie … hat er …«
»Du willst wissen, ob Ohlin mit der Königin das Bett geteilt hat.«
Anneke nickte verlegen.
»Natürlich hat er mit ihr das Bett geteilt«, sagte Malin. »In ihren Mußestunden verbringt die Königin viel Zeit in ihrem Bett, und zumeist fordert sie ihre Hofdamen oder einen der Günstlinge auf, sie dort zu unterhalten. Aber ich glaube, es sind nicht die Plauderstunden, die dich interessieren.«
»Nun ja …«
»Er hat nicht auf die Art bei ihr gelegen, wie du es dir vielleicht vorstellst. Ich kenne die Königin sehr gut. Sie verabscheut den Gedanken an die körperliche Vereinigung mit einem Mann. Vielleicht auch deshalb, weil sie sich selbst wie ein Mann fühlt.« Malin Sörenstam hielt inne, faßte Anneke am Arm und zog sie zu sich heran. »Du bist in ihn vernarrt.«
»Was sagt Ihr da?« brachte Anneke hervor.
»Ohlin hat dir den Kopf verdreht.« Malin Sörenstam zeigte eine bedauernde Miene.
»Das bildet Ihr Euch ein«, sagte Anneke, doch selbst in ihren eigenen Ohren klangen diese Worte wenig überzeugend. »Ich war nur neugierig. Ohlin bedeutet mir nichts.«
»Nimm dich vor ihm in acht. Zwischen den Beinen der Königin hat er nicht gelegen, aber zwischen vielen anderen. Sein Ruf eilt ihm voraus.« Malin schmunzelte hintergründig. »Man sagt, er giere nach jedem Weiberrock wie der Teufel nach den Seelen. Es soll nur wenige halbwegs ansehnliche Hofdamen oder Kammerfrauen am Königshof geben, die nicht seinen Komplimenten erlegen sind. Natürlich haben einige dieser Weiber seine Qualitäten auch sehr bereitwillig in Anspruch genommen.«
Malin Sörenstams Worte enttäuschten Anneke. Das hatte sie nicht hören wollen, und wieder fragte sie sich, warum es |268| sie überhaupt so sehr verletzte, wenn die Schwedin von Magnus Ohlins losem Sittenwandel erzählte.
Da sie befürchtete, daß sich eine verlegene Röte auf ihren Wangen abzeichnete, blieb sie stets ein paar Schritte hinter ihrer Begleiterin zurück, während sie den Weg fortsetzten.
Als sie die Schenke erreichten, waren die Pferde schon angezäumt und tänzelten vor der Hofeinfahrt. Magnus Ohlin öffnete Königin Christina die Kutschentür und winkte sie eilig heran.
»Warum diese Hast?« wollte Malin Sörenstam wissen. »Ihr hattet doch wohl nicht vor, ohne mich abzufahren.«
Ohlin deutete auf das Haupthaus. »Zwei schwedische Soldaten sind vorhin eingetroffen. Ich will nicht, daß sie auf die Königin aufmerksam werden. Es ist besser, wir brechen sofort auf.«
»Die werden mich nicht erkennen«, raunte Christina. »Oder schaue ich etwa aus wie die Königin von Schweden?«
»Wir sollten kein Risiko eingehen.« Ohlin drückte die Kutschentür zu, nachdem die Königin eingestiegen war. Sie lehnte sich aus dem Fenster und reichte Anneke die Hand zum Abschied.
»Lebewohl, meine Gute. Die Reise mit dir hat mir sehr viel Freude bereitet. Vielleicht sollte ich dich an meinen Hof holen und eine Dame aus dir machen.«
Anneke fühlte sich geschmeichelt, auch wenn sie
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