Die Falken Gottes
konzentrierte sie sich auf den Text und versuchte ihn zu lesen. Sie schaute die Buchstaben immer wieder an, und doch wollten sie keinen rechten Sinn ergeben. Anneke befürchtete schon, daß ihr ein falscher Codeschlüssel in die Hände gefallen war, dann aber fiel ihr ein, daß der Verfasser ja ein Schwede gewesen war. Wahrscheinlich hatte er die Nachricht in seiner Muttersprache verfaßt.
Anneke seufzte und fluchte leise. Was nützte ihr dieser Schlüssel, wenn sie die Sprache nicht verstehen konnte?
Plötzlich kamen ihr die beiden schwedischen Soldaten in der Schankstube in den Sinn. Gewiß würden die ihr sagen können, was in dieser Nachricht geschrieben stand.
Anneke schrieb die nächsten Buchstaben nieder. Als sie etwas mehr als die Hälfte des Textes entschlüsselt hatte, lief sie rasch die Treppe hinab und stellte ernüchtert fest, daß die Schweden den Tisch bereits verlassen hatten. Sie eilte auf den Hof und sah, daß die Soldaten ihre Pferde losgebunden hatten und aufsitzen wollten.
»Wartet!« rief Anneke und stürmte auf die Schweden zu.
»Haben wir etwa unsere Zeche geprellt?« meinte einer der beiden, der bereits auf den Rücken seines Schimmels gestiegen war.
»Ich bitte um einen Gefallen.« Anneke zeigte das Papier. »Wäre einer von Euch Herren so freundlich, mir diese Worte ins Deutsche zu übertragen?«
Der andere Soldat, der neben seinem Pferd stand, nahm ihr das Papier aus der Hand und faltete es auseinander. Ihm stand die Dummheit ins Gesicht geschrieben, und es wunderte sie nicht, daß er nur die Stirn runzelte und den Zettel seinem Kameraden reichte, der skeptisch die Buchstaben betrachtete.
»Hast du das geschrieben?«
Anneke nickte.
|275| »Dir würde ein wenig Übung in der Schreibkunst gut zu Gesicht stehen«, meinte er.
»Könnt Ihr es lesen?«
Der Schwede räusperte sich. Dann las er die schwedischen Worte vor, wobei er immer wieder stockte.
»Was bedeutet das im Deutschen?« wollte Anneke wissen. Ihre Anspannung wuchs.
»Laß mich überlegen.« Er kratzte seine Stirn und grübelte einen Moment. »Hier steht: ›Meine Sonne, ich lasse Dich wissen, daß ich Münster wohlbehalten erreicht habe. Dir sei …‹« Er führte das Papier näher an seine Augen und stierte angestrengt darauf. »›… zudem noch einmal versichert, daß Du mit Deinem Opfer eine heilige Pflicht erfüllt hast. Das Gift, das Du Deinem Ehemann verabreicht hast, wird die Seelen Deiner toten Kinder erquicken und sie …‹« Der Schwede faltete den Zettel. »Mehr steht hier nicht geschrieben.«
Anneke legte verstört eine Hand vor den Mund und wiederholte in ihrem Kopf noch einmal die Worte und die böse Erkenntnis, die sie offenbarten. Magnus Ohlin irrte sich. Ebba hatte ihn nicht vergiftet. Diese Nachricht war eindeutig an Svante Ohlin gerichtet. Magnus wollte die Königin in seinem Haus unterbringen, unwissend, daß es für seine Frau ein leichtes sein würde, Christinas Speisen oder ihrem Wein tödliche Kräuter beizumischen.
»Du schaust blaß aus mein Kind«, meinte der Schwede. »Mit scheint, diese Zeilen sind dir nicht gut bekommen.« Er gab ihr den Zettel zurück. Anneke griff nach dem Papier und lief zum Stall. Ihr blieb keine Wahl. Auch wenn die Kutsche schon vor Stunden abgefahren war und Osnabrück bald erreichen würde, mußte sie versuchen, Magnus Ohlin zu warnen. Anneke langte nach dem Sattel, der an der Wand hing, und warf ihn der Stute Charlotta über den Rücken. Als sie den Riemen unter dem Bauch des Pferdes festschnallte, |276| kam Anneke in den Sinn, daß sie nie zuvor eine solch weite Strecke geritten war, und sie betete darum, daß Charlotta sie nicht abwerfen möge. Als wäre das alles nicht schon Sorge genug, wurde nun auch noch das Scheunentor aufgestoßen, und Seybert trat mit finsterer Miene auf sie zu. Anneke schluckte. Er mußte gesehen haben, wie sie über den Hof gelaufen war.
Der Schankwirt baute sich drohend vor ihr auf. »Habe ich dir nicht eine Aufgabe zugeteilt? Was treibst du dich dort draußen herum?« Er deutete auf Karls Leiche. »Um den hast du dich jetzt zu kümmern. Nicht um unsere Gäste.«
»Mein Herr, bitte«, flehte Anneke. »Ich muß der Kutsche folgen.«
Er schaute sie so verständnislos an, als habe sie ihm gesagt, daß sie zur Sonne emporsteigen wolle. »Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Jemand schwebt in großer Gefahr.«
»
Du
allein schwebst in großer Gefahr, wenn meine Frau erfährt, was du hier treibst.« Sein Blick wanderte
Weitere Kostenlose Bücher