Die Falken und das Glück - Roman
Murvin zum Essen ein. Sie waren erschöpft von den langen Stunden im Wasser und aufgekratzt. Daniel tobte. Noch bevor Linda die Nachspeise aufgetragen hatte, zerschlug er seinen Stuhl auf der Tischkante und jagte den jungen Mann mit einem Stuhlbein in den Garten hinaus. Er verfolgte ihn bis zum Strand hinunter.
Später lag er weinend in Lindas Armen, entschuldigte sich bei ihr für den missratenen Abend. Den Assistenten sahen sie nie wieder. Es wurde auch kein neuer mehr geschickt.
Daniel war schlecht zu sprechen auf seine Arbeitskollegen und nicht nur auf die. Linda pflichtete ihm bei, obwohl sie die meisten Leute, über die sie schimpften, nicht einmal persönlich kannte. Gemeinsam machten sie die Welt schlecht und sich selbst. Sie teilten ihre Verachtung für alles und jeden. Die Verachtung wuchs mit ihnen. Sie schimpften über dieselben Forscher und über dieselben Freunde, die mit jedem Jahr weniger wurden. Sie kritisierten die gleichen Bücher, schwärmten für dieselben, seltenen Ausnahmen. Gemeinsam traten sie an gegen den Rest der Welt. Die beiden Gerechten, gemeinsam wurden sie einsam.
Sie machten lange Mittagspausen, dösten unter dem Apfelbaum an seiner Bürowand, ruhten zu Füßen des an den Ecken verblassten Paradieses. Die Tagesdecke über die Lenden gezogen, liebten sie sich, nun ruhiger, vernünftiger, als würden sie sich schon Jahrzehnte kennen. Sie tauschten weiche, vertraute Berührungen, tröstend und komfortabel. Ihre Körper passten ineinander, als wären sie nur dafür gemacht, eins zu sein. Sie teilten leise, langgezogene Orgasmen. Daniel heftete ihr glückseliges Grinsen an seine Trophäenwand, er zählte mit, drei, vier.
Regenbogen spannten sich über ihr Haus, die Jahreszeiten kamen und gingen, die beiden lebten in den Tag hinein. Sie hatten es gut miteinander.
Als der Sommer kam, waren die Zeichnungen stabilisiert. Sie hatten sie gerettet. Daniel fotografierte alles. Er katalogisierte jedes Sujet, legte Dateien und Tabellen an. Und dann begann er seine Fachartikel zu schreiben. Linda half ihm, las gegen, korrigierte. Immer wieder setzte sie sich zu seinen Füßen auf den Teppich, den Rücken an die Bücherwand gelehnt. Andächtig lauschte sie, wie er eine Seite um die andere vortrug. Sie mochte seine Stimme, wie er ruhig, mit bedeutungsvollen Pausen, seine Sätze in den kleinen Raum sprach. Ab und zu fiel ihr ein Detail auf, steuerte sie eine Anregung bei.
Als der Herbst kam, waren sie beide zufrieden mit den Texten. Sie fuhren nach Westport, um in der Papeterie Kopien zu machen. Linda half ihm, die Manuskripte zusammenzuheften. Sie faltete Begleitbriefe, sie schrieb Adressen auf die Umschläge. Daniel bestand darauf, seine Artikel per Post zu schicken. Er fand, ein Altertumswissenschaftler habe seine Arbeiten nicht übers Internet in die Welt zu schicken.
Und dann warteten sie.
Sie lebten bescheiden. Sie aßen Kartoffeln und Kohl aus dem Garten. Lindas Brot erfüllte das Haus mit seinem Duft.
Gelegentlich übersetzte sie noch etwas, aber es kamen immer weniger Anfragen.
Bei Ebbe gingen sie die Strände ab, fanden Seile, Bierdosen, ein totes Schaf. Jeden Tag wurden neue Relikte angeschwemmt, mit der nächsten, großen Flut nahm sie das Meer wieder mit. Aber so weit kam es selten. Seit Daniel und Linda in der Abtei nichts mehr zu tun hatten, sammelten sie, was der Atlantik hergab. Die Fenstersimse ihres Cottages waren längst mit Seesternen, Muschelschalen und Hummerzangen vollgestellt. Schafschädel, russische Konservendosen, geschliffene, bunte Scherben. Was im Haus keinen Platz fand, wurde im Schuppen eingelagert.
Sie konnten nicht genug bekommen.
Der erhoffte Erfolg kam nicht.
Linda versuchte, eigene Artikel zu veröffentlichen, sie wollte die Zeichnungen aus weiblicher Sicht darstellen. Niemand interessierte sich dafür. Daniel warf ihr vor, ihre Zeit zu vergeuden. Sie weigerte sich, die Situation für ihr Scheitern verantwortlich zu machen, die Tatsache, dass sie abgeschieden lebten und mit allen verkracht waren – schließlich hätte sie nach Galway fahren können oder nach Dublin.
Linda und Daniel verbrachten ganze Tage am Strand, schleppten Schwemmgut an, hatten viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Sie tranken schon mittags Wein. Sie redeten sich ein, irgendwann kämen bessere Zeiten. Die besseren Zeiten mussten kommen, weil sie so hart gearbeitet hatten.
Linda müsse sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wolle im Leben, forderte Daniel. Es ginge darum,
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