Die Falken und das Glück - Roman
anstrengte, desto widersprüchlicher wurden seine Forderungen.
Er hatte ihre Unsicherheit zu seiner Waffe gemacht. Und sie ließ sich gängeln.
Mitunter grollte sie, stellte sich insgeheim vor, wie sie leben würde ohne ihn. Ob sie in die Schweiz zurückkehren könnte? Arbeit finden, eine Zweizimmerwohnung? Jeden Morgen um sieben Uhr an der Bushaltestelle stehen und das Meer höchstens noch in den Ferien sehen. Den weiten Himmel aufgeben und nie mehr mit Daniel schlafen. Sie verwarf den Gedanken jeweils nach kurzer Zeit wieder, sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte ohne Daniel.
Zu Weihnachten fiel Schnee auf Clare Island, zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren. Es schneite Flocken und Fetzchen. Taschentücher fielen vom Himmel, weiße Blachen. Leinwände legten sich über die Landschaft. Sie deckten die irischen Hügel zu, ließen sie für die Dauer kurzer Tage wie Berge erscheinen. Linda stand mit Kinderaugen am Fenster und rief: Schweizer Berge! Und die Schafe verschwanden im Gestöber, ebenso wie die Stechginsterbüsche und Nachbars alter Traktor. Die Schneeflocken legten sich über den Turm und die alte Abtei und deckten auch ihre Traurigkeit zu.
Die Nachbarskinder tanzten im Schnee. Sie rollten sich am Boden. Linda ging zu ihnen hinaus. Mit der Zunge fing sie Flocken.
Fotos wurden gemacht. Später hingen sie gerahmt im Pub. Schnee auf dem Gipfel von Knockmore, Schnee sogar am Hafen. Schnee auf den Fischerbooten, der Pier eine weiße Landebahn.
Daniel und Linda waren die einzigen, die sich noch trauten, mit dem Auto herumzufahren. Er fuhr an den Hafen, schaltete das ABS -System aus und drehte Pirouetten. Er freute sich wie ein kleiner Junge, als sein alter VW Passat über die dünne Schneeschicht schlitterte, immer im Kreis und im Kreis herum, bis Linda ihn bat anzuhalten, weil ihr schwindlig wurde. Auf ihr Geheiß fuhr er geradeaus, rutschte die Küstenstraße entlang, hantierte absichtlich mit dem Steuerrad, zeichnete eine verwegene Schlangenlinie in den frischen, feuchten Schnee.
Der Strom kam und ging, die Wasserversorgung fiel tagelang aus. In der Nacht löste sich eine Türe und segelte durch den Garten. Blumentöpfe gingen in Scherben. Und die frühen Narzissen lagen wie abrasiert, traurige Clowns im Dreck. Die wenigen, die noch stramm standen, in ihren verschmutzten Goldkostümen, bildeten ein zerzaustes Orchester, das seine Katzenmusik in den Westwind trompetete.
Man sollte mit dem Bagger drüberfahren, dachte Linda. Wenn nicht vorher Nachbars Kühe durch den Zaun brachen. Die Pfosten wankten, der Stacheldraht war zu Boden gedrückt. Sie wusste nicht, ob sie die Kühe anschreien oder ihnen Decken über den Rücken legen sollte. Einige waren trächtig.
Und dann kam endlich der März, die Tage zogen sich spürbar in die Länge. Die Wollpullover juckten. Linda wollte aus ihrem Kokon schlüpfen wie ein Schmetterling, endlich Sonne auf der Haut spüren. Das Gras auf dem Grundstück war bald kniehoch. Jenseits der Grundstücksgrenze weideten Schafe, zwei Esel, ein Pferd. Stechginster hüllte die Hügel in sein Gelb.
Linda pflanzte Tulpen, Salate, Kräuter. Am Tag des heiligen Sankt Patrick zog sie Rillen in das Feld vor dem Haus und vergrub Saatkartoffeln. Daniel beäugte ihre neue Tätigkeit mit Argwohn.
Kartoffeln und Kohl können wir weiß Gott im Laden kaufen!
Linda grub weiter. Sie zwang dem windigen Fleckchen Erde Gemüse und Blumen ab. Sie arbeitete bis zur Erschöpfung. Sie buddelte, bis sie ihren Körper nicht mehr spürte, bis ihr Kopf leer wurde und die Gedanken sich von der Gegenwart lösten.
Abends saß sie mit dreckverkrusteten Händen am Tisch.
Klüger ist allemal, wer sich dem Land zuwendet!, zitierte sie Daniel.
Aber doch nicht dem Garten!, erwiderte er.
Sie beobachtete, wie die Pflanzen wurzelten. Der Kohl und die Rosen, der Lavendel, das Geißblatt sollten ihr zeigen, wie man in dieser kargen Landschaft heimisch wurde.
Daniel zeigte ihr eine Schale mit großen, glänzenden Kernen, die er am Strand gefunden hatte.
Seabeans, Samen aus der Karibik. Die wurden alle hier angeschwemmt.
Er nahm ein besonders großes, mahagonifarbenes Exemplar aus der Schale und schüttelte es wie eine Rassel.
Die Samen keimen noch, nachdem der Kern jahrelang über die Meere getrieben ist.
Dann könnten wir in unserem Gärtchen tropische Palmen züchten, schlug Linda vor.
Zu windig hier. Aber ein Experte vom Botanischen Garten in Dublin wollte welche haben. Der ist extra hergereist, um
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