Die Falken und das Glück - Roman
ihm, ein zersplittertes Stuhlbein durch die Luft schwingend, den Weg zur Straße hinunter nach.
Geh doch selber zum Psychiater!, schrie er dem flüchtenden Pat hinterher, ihr habt doch alle einen Dachschaden!
Linda und Daniel setzten sich an den Küchentisch, tranken eine Flasche Rotwein und dann noch eine. Daniel stierte böse in sein Glas. Linda konzentrierte sich auf ihre Atmung, versuchte ihren Herzschlag zu kontrollieren.
Den will ich nie wieder sehen, brach Daniel schließlich das Schweigen und zog Linda ins Schlafzimmer.
Im Garten pflückte Linda einen frischen Strauß Blumen, trug ihn in die Abtei. Sie setzte sich auf das Grab von Granuaile. Die anthrazitfarbene Steinplatte fühlte sich feucht an und klamm. Die Grabeskälte durchdrang ihren Körper. Die gezackten Bogen über der Alkove wurden zu Zähnen, ein Pottwal riss sein riesiges Maul auf. Die Symbolik des biblischen Bildes entging ihr nicht, und wie sie noch zögerte, sich der Länge nach auf das Grab zu legen, war Linda bewusst, dass sie von der Geschichte verschlungen werden würde, dass ihre Gedanken fortan im Grab von Grace O’Malley gefangen wären. Sie würde Grace O’Malley sein, sie würde mit ihr aufbrechen in die Welt hinaus, mächtig zu Wasser und zu Lande. Die Winde würden ihr gehören und die Wellen, sie würde westwärts fliegen mit gerafften Segeln. Sie würde mächtig sein, auch über sich selber, sie würde viel gewinnen, aber letztlich würde sie für ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Ihr Wunsch, der Piratenkönigin nahe zu sein, überwog den Schrecken, der sie bei dieser Aussicht durchfuhr.
Sobald sie sich hingelegt hatte, fühlte sich die Steinplatte gar nicht mehr kalt an. Linda verharrte eine Stunde, zwei. Dann stellte sie ihre Blumen auf das nun warme Grab und verabschiedete sich für den Tag.
Sie zog sich in den Turm zurück. Und begann zu schreiben.
Sie reißt das Fenster auf.
Wilde Pferde galoppieren über die Rücken der Wellen auf Granuaile zu, werfen die Hufe in die Gewitterluft und springen bis an ihr Fenster hoch. Sie streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht, lacht. Der Wind ist ihr Freund, er trägt das Meer zu ihr herauf. Sie wird auch vor einem Hurrikan die Segel setzen. Die Taue ihres Flaggschiffs peitschen den Wind, und ihr Knallen übertönt sogar das Tosen der Brandung. Mit diesem Schiff muss sie sich vor keinem Sturm fürchten.
Sie hat die Torc erst voriges Jahr von einer berühmten Werft von A Coruña nach ihren eigenen Plänen bauen lassen und sie persönlich am Kap Finisterre abgeholt. Der Besitzer der Werft kümmerte sich persönlich um den Bau von Granuailes Flaggschiff; er war ein alter Freund ihres Vaters. Auf ihre Anweisungen hin entwarf er eine Karavelle mit schlankem Aufbau und hohen Achterkastellen. Die Torc sollte schneller und wendiger werden als jedes andere Schiff. Weit überhängende Steven an Bug und Heck sollten ihr angriffiges, gefährliches Aussehen betonen: Granuaile verlangte nach einem Handelsschiff mit Zähnen.
Sie war dabei, als das Holz zurechtgesägt wurde. Strich mit den Händen über die Planken, die so perfekt zusammengefügt wurden, dass der Rumpf eine glatte Haut bildete, geschliffen und blankpoliert, damit sich keine Algen festsetzten. Die Nähte würden zusätzlich kalfatert, damit die Karavelle auch im Seegang kaum Wasser nahm.
Was die Takelung betraf, dienten Granuaile die großen Entdeckerschiffe von Kolumbus und Vasco da Gama als Vorbild, die São Gabriel und die São Raphael, die Bérrio, die Santa Maria, die Niña und die Pinta: flinke und äußerst strapazierfähige dreimastige Karavellen mit Lateinersegeln, die schon hundert Jahre zuvor mit der Eleganz von Zugvögeln den Atlantik überquert hatten.
Aber Granuaile wollte die traditionell in Spanien und Portugal gebräuchliche Karavellen-Takelung modernisieren und ließ, in Anlehnung an die große Karacke, die sie einige Jahre zuvor an die Flammen verloren hatte, einen weit über den Rumpf hinausragenden Bugspriet anfügen, der mit einem geteilten Rahsegel betakelt wurde, und stattete sie mit einer bronzenen Hinterladerkanone aus; niemand würde es wagen, das erste nur für Granuaile gebaute Handelsschiff zu überfallen!
Ein Knacken und Knarren geht durch die Balken. Der Turm wird zum Schiff, er will aufs Meer hinaus. Das Gemäuer ist nur noch mit einem schwachen Tau an der Insel festgemacht. Beim nächsten Windstoß wird sich die Burg von ihrem Felsvorsprung losreißen und in die Bucht
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