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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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verlassen - bis auf ein paar kleine Vögel, die in kleinen Spalten verschwanden oder daraus auftauchten. Moose und Gras und andere Gewächse krallten sich in die Ziegel; einzelne Halme schwankten träge im Wind. Der Morgen war völlig still, kühl und taufeucht, nur in der Ferne schienen Geräusche zu existieren, leise und murmelnd. Die vereinzelten Aufseher schwiegen.
    Der ihnen am nächsten sitzende prustete, wachte auf, setzte sich aufrecht hin, beiaerkte sie, sagte und tat jedoch nichts: saß nur da und starrte sie stur an. Irgenwann hob er eine Hand und fuhr sich über das unrasierte Gesicht. Sie konnte das Schaben hören, mit dem seine Hand über die Stoppeln glitt. Sie nickte entschlossen, schnalzte, trieb das Gyr in einen holperigen Trab und bog auf die Felder ab.
    Ihre Lippen zogen sich zusammen, als sie die vornübergebeugten Leute genauer in Augenschein nahm, doch sie bekam ihren Zorn in den Griff und versuchte das Elend ringsumher zu übersehen. Es gab nichts, das sie hätte tun können; sie konnte ihnen nicht helfen, sie konnte ihr erbärmliches Dasein nicht mildern. Sie konnte zerstören, jedoch nicht erschaffen; Zerstörung dauerte nur wenige Sekunden, etwas Neues zu erschaffen jedoch Jahre.
    Befreien hätte sie diese Leibeigenen mühelos können - doch was wäre das für eine Freiheit gewesen? Die Freiheit eines raschen Todes… Nur zu schnell hätten die Ausgestoßenen sie geholt und niedergemacht oder zu Tode gequält. Ein langsames Verhungern
    … Tod durch Entkräftung. Kannibalismus. Sie hatte genügend gelernt über die Menschen, sie wußte, wie wichtig es ihnen war, vertraute Dinge um sich zu haben, und wie sehr sie sich daran klammerten -und wie lange. So lange nämlich, bis auch die letzte Hoffnung auf Veränderung verschwunden war. Es waren einfache Leute, und sie würden argwöhnisch reagieren auf alle Versprechungen oder gar Beweise von einem besseren Leben, und Fremden gegenüber würden sie erst recht argwöhnisch sein und im Gegenzug großzügig und loyal gegenüber ihresgleichen - ein festgefügtes Ganzes gegen jeden Außenstehenden. Nein, sie konnte nichts tun, sie konnte ihnen nicht helfen, konnte ihr Leben nicht verbessern. All ihre Talente, all ihre Macht, all die in Jahren erlernten Fertigkeiten waren hier bedeutungslos. Zeit und eigener Antrieb - und Kraft und Hoffnung, das war es, was sie brauchten, und all das war sie nicht zu geben imstande. Bergmädchen, endlich hast du deine Grenzen kennengelernt, dachte sie. Schau weg.
    Tu einfach so, als würdest du es nicht sehen. Und sie schaute weg, wandte sich ab und Eload Wakille zu. Die einzige Hoffnung, dachte sie und lächelte vor sich hin. Er und andere seinesgleichen. Er allein genügte nicht, aber es mußte andere Händler geben, die um des Profits willen mit diesen Leuten zusammenkamen. Vielleicht würden sich diese Bedauernswerten irgendwann einmal anstekken, vielleicht würde der Funke überspringen . . , und vielleicht würden sie dann ihrerseits Handel treiben - mit anderen Städten, mit - ihr Lächeln verschwand. Nein. Noch nicht. Jetzt noch nicht, jedenfalls. Wenn die Sozialstruktur auf diesem Schlammhaufen so beschaffen ist, wie ich mir das denke, dann werden die, die ganz oben sind, sehr genau wissen, was eine Öffnung für sie zu bedeuten hat. Gut, möglich, daß es Herrscher gab, die dieses Risiko eingingen. Sie lächelte wieder, eine straffe Krümmung ihrer Lippen.
    Schattenboxen. Du baust dir ein Wolkenkuckucksheim. Keine Daten. Zumindest nicht genug.
    Die Stille hinter ihr dauerte an. Keine Alarmrufe, kein Schreien, keine heranschwirrenden Geschosse. Sie entspannte sich noch mehr, als sie die schmale Lücke im Zaun endgültig passierte.
    Die Gyory trabten schnaubend dahin, schüttelten die Köpfe, lie
    ßen die großen Lauscher spielen. Stechmücken umschwirrten sie.
    Dann schoß etwas Kleines und Braunes aus einem Versteck im Gestrüpp heran und verbarg sich hinter der Körpermasse der Gyory vor dem Aufseber.
    Ein Schrei wehte von den Feldern heran, doch Aleytys drehte sich nicht um. und sie hielt auch nicht an. Statt dessen bückte sie sich und hielt dem Kind, das neben den Vorderläufen des Gyrs rannte, eine Hand hinab. Das Kind reagierte nicht Leise raunte sie ihm zu: ..Ich will dir helfen!”
    Jetzt blickte das Kind auf. Aleytys unterdrückte einen überraschten Laut. In dem kleinen, spitzen Gesicht gab es keine Augen, nur flache Vertiefungen, dicht über den hoch angesetzten Wangenknochen. Ohne Augen geboren,

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