Die Fallen von Ibex
schnupperte, setzte ihn wieder zurecht. Das Wasser kochte noch nicht. Sie kauerte sich wieder auf die Fersen zurück, legte den Kopf in den Nacken und starrte zu der straff gespannten Plane hinauf. Regentropfen trommelten einen unregelmäßigen Rhythmus darauf. Das Unwetter war zu einem gro
ßen Teil nach Osten weitergezogen, kurz, nachdem sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sie runzelte die Stirn, ließ einen Geistfühler in das Ödland hinauskriechen und darübertasten. Die Sondierung erbrachte nichts. Das beunruhigte sie. Shadith war bereits seit über einer Stunde unterwegs, nicht zu lange für eine Jagd (und unter diesen Umständen schon gar nicht), aber trotzdem beunruhigend. Sie warf dem Händler einen forschenden Blick zu. Er faltete seine Jacke mit kleinen, ordentlichen Bewegungen, die sie zum Lächeln reizten. „Hast du je im Leben einen Ozean überquert?”
Er blickte verdutzt auf. „Sinnlos, auch nur daran zu denken, Jägerin. Es gibt keine Schiffe auf dieser Welt. Und die Märkte auf diesem Kontinent sind schon ziemlich schlecht sortiert.”
„Besser, du überlegst es dir noch einmal, ob du wirklich mit uns kommen möchtest.”
Das Feuer zischte, als das kochende Wasser überschäumte und hinabtropfte. Aleytys nahm den Topf von seinem Gestell, streute eine Handvoll Cha-Blätter hinein, stellte ihn beiseite und ließ den Cha ziehen. Dann nahm sie das Buch, blätterte darin und fand die gesuchte Stelle. Laut las sie vor:
Esgards Aufzeichnungen:
Was den Ozean betrifft… Hier gilt es zu wissen, daß es zahlreiche starke, breite, weitverzweigte Strömungen gibt. Jene, die dich, den mir Nachfolgenden, ganz besonders interessieren sollte, verläuft am westlichen Ufer des Meeres und teilt sich schließlich in zwei Stränge auf, von denen sich einer unter den Eisschollen im hohen Norden in wilden Turbulenzen auflöst.
Der andere jedoch zieht sich an der Küste des Yastroo-Kontinents entlang nach Süden, verläuft schließlich in Höhe des Äquators nach Westen (wobei die Strömung hier gewaltig stark ist, meinen Forschungen zufolge, den Göttern sei Dank - oder den Teufeln, die es wohl geben mag, denn gerade in jenen Gefilden ist Geschwindigkeit hochwillkommen!). Der Kreislauf schließt sich sodann irgendwo unterhalb der Ausbuchtung des zweiten Kontinents. Schwimmende Inseln treiben auf der Strömung und benötigen nahezu ein Jahr für ihre Wanderschaft von Kontinent zu Kontinent und wieder zurück. Übrigens -diese Inseln gibt es auf allen Meeren, selbst in der Westwinddrift im Bereich des Südpols, und mehrere hiervon scheinen ihre Loyalität von einer Strömung auf die andere - wie auch immer - zu übertragen, wenn mir dieser Anthropomorphismus gestattet sei.
Glücklicherweise geschieht dies auf der Südhalbkugel wesentlich häufiger als im Norden, so daß man (vorausgesetzt, man ist nicht mit einem Übermaß an Pech geschlagen) nicht befürchten muß, auf die falsche Insel zu setzen. Immerhin - die Gefahr besteht, und so benenne ich sie hier. Manche dieser Inseln sind klein - ein oder zwei verkümmerte Bäume, mehr nicht, dazu Gestrüpp, Unkraut. Andere sind sehr groß, langsam und stabil.
Ihre Bäume mögen als Segelmasten dienen, dank ihrer Masse überstehen sie Stürme, ohne zu kentern oder zu zerbrechen.
Die alte Straße führt zu einer Landzunge, die aus der Westküste herausragt. Eine Reihe von Sandbänken gehen davon aus und berühren fast die Ausläufer der benannten Strömung. Hin und wieder - mehrmals jedes Jahr - geschieht es, daß eine grö
ßere Insel hier auf Grund läuft; nicht für lange - natürlich nicht.
Nach einer Woche, manchmal schon nach einem Tag oder einer Stunde, reißt sie sich wieder los. Das hängt ganz von der Flut und vom Wind ab. Die größeren Inseln vermögen sich naturgemäß schneller wieder zu lösen, um so mehr bei Sturmwind und hohen Wellen. Ich berechne die Wanderschaft dieser Inseln nunmehr seit vielen Jahren. Da die Strömungen nicht vereinzelt vorkommen, sondern Verflechtungen zahlreicher Strömungs-Stränge sind, gelingt es nicht, die korrekten Bahnen der Inseln vorherzusagen, obgleich die Mehrzahl der größeren gegen Ende des Winters wieder auf den Sandbänken zu finden sind - dank der in diesen Zeiten größeren Windgeschwindigkeit, nehme ich an. Eines jener Elemente, die den Zeitpunkt meiner Abreise bestimmten. Mit Fasstang und seinen Leuten bin ich auf einen guten, massiven schwimmenden Untersatz angewiesen, eine große Insel, die uns allesamt
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