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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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Der Junge wandte ihr sein Gesicht zu und lächelte sie an. dieses breite, engelhafte Lächeln, das ihr Herz schmelzen ließ, obgleich ihr klar war, daß er dieses Lächeln sehr kultivierte, daß es Teil seines Lebensspiels war. „Hab’ Hunger, Herrin”, sagte er.
    Aleytys sah zur Sonne empor. „Es ist noch nicht Zeit zum Anhalten, Linfyar. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?”
    „Klian, die hat mir ein Stück Brot gegeben, das war vor Sonnenaufgang. Schon lange her.” Seine Stimme war ein bestürmendes Locken, und er legte einen rhythmischen Schwung in seine Worte, daß sie beinahe zu einem Lied gemacht wurden.
    „Halt dich fest.” Sie ließ ihre Finger über die Gürteltaschen gleiten, fand jene Tasche, in der sie einen Fruchtriegel verstaut wußte.
    „Da, nimm.” Sie berührte den Arm des Jungen, legte ihm den Riegel auf die Handfläche. „Du mußt die Hülle abmachen, bevor du es ißt. Es ist süß. Iß langsam, Infy, sonst handelst du dir Bauchschmerzen ein.”
    Er kicherte, seufzte vor Vergnügen, lehnte sich an sie und knabberte mit einem leisen Freudengemurmel an dem klebrigen süßen Rechteck aus getrockneten Früchten.
    6
    Das Wasser des kleinen Baches murmelte über den Berghang herab, verschwand in einem engen Kanalrohr, das unter der Straße hindurchführte, und kam auf der anderen Seite in einem tief eingeschnittenen Bett wieder zum Vorschein. Ein kleines Feuer loderte in seinem Feuerloch. Darüber schwirrten und summten Insekten, eine in Bäumen nistende Amphibie zirpte in genau bemessenen Abständen ihr monotones Nachtlied. Aleytys saß abseits von den anderen, gegen den knorrigen, seltsam verzerrten Stamm eines kleinen Baumes zurückgelehnt, der sie so sehr an die Weiden jener Welt erinnerte, auf der sie geboren war. Der Cha-Becher, den sie zwischen den Handflächen hielt, kühlte langsam ab. Vor ihrem Gesicht pendelten lange, geschmeidige Zweige mit paarweise angeordneten, herzförmigen Blättern; papierdünne Blätter an langen Stielen, die ihrerseits bei jedem Lufthauch flatterten und raunten.
    Sie trank einen Schluck Cha und lächelte zu ihren drei am Feuer sitzenden Gefährten hinüber.
    Eload Wakille hatte seine erste Überraschung (und Aufregung) verwunden - beinahe. Er saß Linfyar und Shadith gegenüber, nur durch das Feuer von ihnen getrennt, und beobachtete sie forschend, das Gesicht die meiste Zeit hinter einem Cha-Becher verborgen.
    Wiederholt trank er in kleinen, hastigen Schlucken, doch der Blick seiner hellen Augen irrte kein einziges Mal ab.
    Shadith widmete sich ihrem großen, alten Hobby - Lieder zu sammeln. Nachdem sie ihre zeitweilige Gereiztheit wieder abgelegt hatte, hatte sie sich ganz auf den Jungen konzentriert - der sehr erfreut war über ihre Aufmerksamkeit… und mächtig stolz auf sein Können. Die Lieder strömten in einer leichten, silbernen Flut aus ihm heraus. Seine Knabenstimme war klar und süß und erstaunlich kräftig. Als sie das Klangvolumen, das er zustande brachte, das erste Mal gehört hatte, war Aleytys ziemlich unbehaglich zumute gewesen; ängstlich hatte sie daran denken müssen, wie weit diese Stimme zu hören sein mußte. Sie hatte einen Geistfühler hinaustasten lassen, hatte ihn das Land in weitest möglichem Umkreis sondieren lassen, und da war weder Boshaftigkeit noch Intelligenz gewesen und ganz gewiß nichts, das groß oder hungrig genug gewesen wäre, sie bedrohen zu können, und so hatte sie sich wieder entspannt. Jetzt beobachtete sie das Treiben am Feuer. Die Spitzen der langen, dünnen Zweige schaukelten gemächlich hin und her.
    Shadith bat den Jungen rasch, die Stimme zu dämpfen, und fragte ihn dann, ob er ihr seine Lieder beibringen wolle. Sie katzbalgten sich fröhlich darüber. Anfangs gab der Junge mit automatischem Charme nach. Doch ganz allmählich begann er auf Shadiths Einwände zu reagieren und diskutierte heftig mit ihr, und sei es manchmal auch nur (wie Aleytys fand) aus purer Freude, dagegen zu sein. Sie beobachtete sie voller Zuneigung und mit einiger Belustigung. Shadith, die trotz ihrer Jahrhunderte nie wirklich erwachsen geworden war, letzten Endes ein uraltes, frühreifes Kind im Körper eines Kindes, das jetzt mit einer Ausgelassenheit in ihr Jugendalter zurückfiel, die Aleytys benommen machte. Und Linfyar, noch ganz jenes altkluge Kind, über seine Jahre hinaus erfahren und vertraut im Umgang mit den dunkleren Seiten der menschlichen Natur. Sie lächelte wieder, als sie unwillkürlich dachte: Was

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