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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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natürlich schon auf. Darum hab’ ich mich bei ihnen hinausgeschlichen, und vorhin haben dann die Aufseher nicht aufgepaßt…” Da lächelte er und reckte sich ein wenig auf dem Sattelpolster, wo er sich jetzt ganz sicher fühlte, was ihr mehr als genug über sein kurzes Leben verriet. Frauen mußten stets nett zu ihm gewesen sein, alle Frauen, nicht nur seine Mutter. Er war nicht lange mißtrauisch gewesen; ganz im Gegenteil. Viel zu schnell nahm er an, daß jetzt alles gut war, daß die Welt es jetzt gut mit ihm meinen würde. Die vor ihm liegenden Schwierigkeiten berührten ihn nicht - berührten ihn nicht mehr. Die Frauen hatten ihm geholfen, zu entkommen, und jetzt war er ganz sicher, daß er sicher war
    - ihrer sicher war.
    „Du kannst sie nicht sehen”, sagte sie. „Woher weißt du das alles?”
    „Weiß es eben.” Linfyar ließ ein leises, gurrendes Lachen hören.
    „Ich fühle es, wenn man herschaut, irgendwie, so was wie bei Insekten, die auf der Stelle still liegenbleiben, wenn man sie bloß anguckt.” Die schmalen Schultern bewegten sich, schauderten.
    „Das andere versteh ich nicht. Ihr kommt da, ihr alle, und ich komm raus und geh mit euch.” Mit einem kleinen, zufriedenen Seufzer ließ er sich wieder in ihre Arme zurücksinken.
    „Linfyar”, begann sie und verstummte wieder, als er ihr das kleine Gesicht zuwandte, dieses kleine Gesicht und die zitternden, pulsierenden Lippen, die ihr Gesicht zu ihm hinzogen. „Wir reisen in fremde Länder, Linfyar, es liegt immer eine Gefahr darin. Gibt es denn überhaupt niemanden, bei dem du bleiben könntest?”
    „Nein, Herrin. Nimm mich mit, ich singe für dich.”
    Sie spürte, wie sich der kleine Körper verkrampfte, und streichelte beruhigend über die Wange des Jungen. „Nicht singen, Linfyar, noch nicht. Und keine Angst. Wir sind noch zu nah an der Stadt.” Sie schaute über die Schulter zurück. Keine Verfolger.
    Nicht das geringste Anzeichen dafür, daß jemand Verdacht geschöpft hatte. Sie entspannte sich wieder. Shadith blickte finster drein, und Eload Wakille sah ziemlich mürrisch aus, aber sie kümmerte sich nicht darum. Linfyar war eine Möglichkeit, wenigstens ein bißchen von jener Selbstachtung zu retten, die ihr schon zu entgleiten drohte.
    „Wir haben noch einen verdammt weiten und harten Weg vor uns”, brummte Shadith. Dann schüttelte sie sich, wie ein Pferd, das sich vieler Fliegen entledigt, und lächelte widerstrebend. „Aber andererseits… Ich glaube, wir konnten ihn wirklich nicht den Ausgestoßenen überlassen.” Sie ritt näher heran, betrachtete den Jungen. Aleytys spurte, wie sein Atmen regelmäßiger und langsamer wurde. „Schläft beinahe”, sagte Shadith. „Er weiß, daß er ein Zuhause für sich gefunden hat.”
    „Shadi.”
    „Mach dir nichts draus. Lee. Ich versteh’ dich schon.” Shadith blickte von dem kleinen Pelzkind zu Aleytys und wieder zurück.
    „Ich, ich hatte nie Kinder. Auch gut, wenn man es rückblickend überdenkt.”
    „Das reicht, Shadi.”
    „Mehr als gut. glaube ich sogar”, sagte Shadith fröhlich und ließ sich von Aleytys strenger Stimme überhaupt nicht beeindrucken.
    Danach ritten sie schweigend nebeneinander her, und der Junge schlief in Aleytys’ Armen. Die außergewöhnliche Klarheit der Luft schwand mit dem Aufkommen des Windes: Jetzt wirbelten kleine Staub- und Pollenschleier über dem allgegenwärtigen Gestrüpp und seinem treuen Gefährten, dem Gras. Zu ihrer Rechten begleitete sie eine Weile lautlos der Fluß, bevor er nach Norden hin abbog. Das Land begann zu den Bergen hin anzusteigen, das Gestrüpp wucherte spärlicher; an seine Stelle trat das Gras, lange Strähnen, die im Wind raschelten.
    Linfyar bewegte sich, gähnte, setzte sich auf und wandte den Kopf hin und her; seine Lippen flatterten eifrig, als er die welligen Hügelflanken zu beiden Seiten der Straße absuchte. Aleytys sah neugierig zu, gespannt, was das augenlose Kind wahrnehmen würde. In was für einer seltsamen Welt er lebt, dachte sie und ließ ihrerseits den Geistfühler hinausgreifen und über die Hände gleiten, doch der Eindruck der Einsamkeit dort trog sie nicht. Nur Kleinstiebewesen huschten dort umher, gruben Larven aus, sammelten Kriechtiere von Blättern und Grashalmen, kauten auf zartem Grün, saugten Saft aus Pflanzen oder das Leben aus anderen Tieren, gruben Wurzeln und Knollen aller Art aus, ein Netz aus geschäftigem Treiben, unsichtbar und vor Leben sprühend und nicht bedrohlich.

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