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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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angenommen hatte. Der Frühling ging dahin, und er war noch immer unterwegs. Es klafften Löcher in seinen Stiefeln, und genauso in seinen Träumen.
    Eines Tages, als sich der Sommer schon bedenklich dem Ende zuneigte, da wanderte er an einem Fluß entlang, der sich durch kleine, hügelige Täler schlängelte. Die Morgenstunden waren schon empfindlich kühl, obgleich die Tage selbst noch warm und golden blieben. Er war seit dem Morgengrauen einen weiten Weg gekommen, durch ein unwirtliches Tal, und in ein anderes, nicht weniger unwirtliches. Die Leute hier oben hielten eisern zusammen und standen allen Fremden recht feindselig gegenüber, und ganz besonders solchen Fremden, deren Größe und goldene Schönheit sie gedrungen und finster und gewöhnlich erscheinen ließ. Wenn die Frauen und Mädchen ihm wehmütig nachblickten, so achteten sie sehr darauf, daß sie dabei nicht von den Mannsleuten erwischt wurden, und so kam es, daß ihm nicht einmal die zurückhaltendste Wohltätigkeit angeboten wurde - ein krasser Gegensatz zu der Überfülle, die er im Tiefland kennengelernt hatte. Er war müde und schweißnaß, und seine Füße taten ihm weh. Das Flußufer war hier grasbewachsen und fiel in einem sanften Bogen zum Wasser hin ab; das Flußbett selbst beschrieb hier eine weite, träge Biegung, und die Fluten waren auf der Innenseite dieser Kehre langsam genug, um Inseln aus Rohrkolbengewächsen und Wasserlilien ein Plätzchen zuzugestehen; ein grüner, kühler Grund im Schatten uralter und gewaltiger Wassereichen.
    Bei den Rohrkolbengewächsen ließ er sich im Grase nieder und zog seine Stiefel aus, stupste einen Finger durch eines der größeren Löcher, lachte, schüttelte den Kopf, stellte den Stiefel beiseite, krempelte die Hosenbeine auf und ließ beide Füße ins Wasser gleiten. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, ein Lächeln, genährt von einer Freude, die stärker war als alles, woran er sich erinnern konnte - in diesem Moment jedenfalls. Er streckte sich im Gras aus, benutzte seinen Hut eine Weile als Fächer, entschied, daß dies nicht mehr nötig war, da sich eine Brise erhoben hatte, und legte den Hut also über die Augen und ließ sich von den Klängen von Wasser und Wind, dem Summen der Insekten und von der Hitze in ein tiefes Dösen davontragen, das nicht ganz wie ein richtiges Schlafen war. Nun war er nicht ganz so dumm, wie es manche von großen, hübschen Blondschöpfen zu wissen glauben. Es lag eine kalte, hungrige Nacht vor ihm, wenn er sich nicht aufraffte, eine Art Unterschlupf zu finden. Aber im Moment wollte er sich nicht mehr bewegen, er fühlte sich zu wohl, um diese Stimmung durch eine wie auch immer geartete Bewegung zu vertreiben.
    Da hob etwas an, seine Füße zu kitzeln. Es streifte vorbei, doch bald darauf bewegte sich etwas wie Finger immer wieder auf und ab daran, von den Fersen bis zu den Zehen, und wieder zurück.
    Beim ersten Mal dachte er noch, es seien Gräser oder vielleicht ein Fisch. Beim zweiten Mal riß er die Augen auf und setzte sich hin.
    Beim dritten Mal zog er die Füße hastig aus dem Wasser zurück und starrte in Augen hinab, die grüner waren als die sich tief auf ihn herabneigenden Blätter; grüne Augen in einem lieblichen, blassen Gesicht, umrahmt von feinem, nassem grüngoldenem Haar.
    Der üppige Mund der Wassernixe schob sich leicht vor, und dann formte sich ein neckisches Lächeln darauf. Er starrte in die grünen Augen und las Wunder darin, die er nicht richtig in Worte zu fassen vermochte, selbst wenn er diese Worte vor seinem inneren Auge wirbeln sah. Er sah hin und konnte sich nicht sattsehen, da er in den unergründlichen Augen die Erfüllung all seiner Sehnsüchte erblickte - all dessen, was ihn vom Hof seines Vaters vertrieben hatte. Er beugte sich immer weiter hinab, kam immer näher an sie heran, kurz davor, ins Wasser zu stürzen, hinein, in die ausgebreiteten Arme der Wassernixe.
    Da näherte sich hinter ihm, oben, auf der Straße, das Rattern und Knarren von Rädern, das gleichmäßige Klappern von Hufen, das Bimmeln einer kleinen Glocke - ein Wagen und ein Gespann, unterwegs nach Norden, gerade dorthin, wo auch er hingehen wollte. Das lenkte ihn ab, und er fuhr herum - und als er sich gleich darauf wieder zu der Nixe hinwandte, erhaschte er nur mehr ein grünweißes Aufblitzen; das Geschöpf jagte davon und verschwand in den Tiefen des Flusses. Nur einen Augenblick lang dachte er daran, hineinzuspringen und ihr nachzufolgen, aber da

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