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Die Fallen von Ibex

Die Fallen von Ibex

Titel: Die Fallen von Ibex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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geschah es, daß er das Mädchen im Wagen zu singen anfangen hörte … eine heisere, schöne Stimme, ein vertrautes Kindheitslied. Er schüttelte den Kopf, riß Hut und Stiefel an sich und rannte den Hang hinauf.
    Es war ein Weinhändler mit seiner Tochter, die in dem kleinen Weinberg ihre Runde machten. Ich könnte immer weiter davon erzählen, wie der Weinhändler ihm Arbeit anbot, und wie sich des Weinhändlers Tochter in ihn verliebte und ihn heiraten wollte, und wie er seinen Träumen entsagte und wie zwanzig Berserker arbeitete, um sich mit eigener Hände Arbeit eine Chance zum Glück zu verschaffen und all jene Dinge zu vergessen, die er in den Augen der Wassernixe gesehen. Wie er gedieh, wie er die Tochter des Weinhändlers schließlich heiratete, wie er zuerst einen Sohn und daraufhin eine Tochter bekam, und wie er ein glücklicher und größtenteils zufriedener Mann wurde. Und wie er immer wieder von der Wassernixe träumte… und davon, was er in ihren Augen zu sehen glaubte.
    Angetan mit einem warmen, wollenen Reitgewand und mit einem vornehmen Seidenhemd und perlgrauem Hut, im Sattel eines lebhaften schwarzen Wallachs, sein Haar noch golden, sein Gesicht noch immer hübsch, sein Körper noch muskulös und schlank von fünf Jahren harter Arbeit, und eingehüllt in den Wohlgeruch von Wohlstand und einer guten Ehe, kehrte er eines Tages durch die Tälerkette zurück zu jener Flußbiegung, wo er einst einen Nachmittag verschlummert hatte. Männer beobachteten ihn, und er sah den Neid in ihren Augen. Frauen beobachteten ihn, und er sah die Verlockung in ihren Augen. Doch sie alle ließ er ohne einen Gewissensbiß zurück, hatte er doch alles, was er brauchte und wollte. Und auch das ließ er hinter sich, jedoch ohne die Absicht, es aufzugeben. Nein. Da war nur dieser kitzelnde Drang, der gelindert werden mußte, auf daß er schließlich zurückkehren und all die guten Dinge genießen konnte, mit denen ihn das Leben überhäuft hatte.
    Er saß ab, band die Zügel an einem tief hängenden Ast fest und ging die Schräge hinab und starrte ins Wasser. Lange stand er so, ohne mehr zu sehen als die sich kräuselnde Wasseroberfläche.
    Nach einer Weile setzte er sich hin, zog seine Stiefel aus, stellte sie sorgfältig neben sich ins Gras, krempelte die Hosenbeine hoch und tauchte die Füße ins Wasser. Es war viel kälter, als er es in Erinnerung hatte, und der zähe, schwarze Schlamm gefiel ihm überhaupt nicht, der seine Zehen umgab, genausowenig, wie der faulige Geruch, der sich daraus erhob. Auch hatte er vergessen, wie seine Füße gebrannt und geschmerzt hatten - was den Schlamm in jener lange vergangenen Stunde zu einem wahren Himmelsgeschenk gemacht hatte. Er legte sich ins Gras zurück und wartete. Insekten krabbelten über sein Gesicht, Staub war ein Ärgernis in seiner Nase, und Grashalme pieksten in sein Genick. So lag er eine lange Zeit, kalt und steif und unbequem. Als er das huschende Kribbeln spürte, das über seine Fußsohlen tastete, setzte er sich auf und starrte wieder in die tiefen, glänzenden Augen der Wassernixe.
    Doch jetzt schienen sie nicht mehr so unergründlich wie einst, sie waren irgendwie stumpf und ausdruckslos, sogar fischartig, und auf der perlmuttgleichen Haut waren gar winzige Schuppenmarkierungen zu erkennen, nicht entstellend, jedoch ziemlich absto
    ßend. Unvermittelt dachte er an das sanft gebräunte Gesicht seiner Frau, an den Hauch von Rosa auf ihren Wangen, und die milden Orangesprenkel auf ihrem Nasenrücken - und unvermittelt befiel ihn ein schreckliches Heimweh. Er schüttelte sich und lehnte es ab, seinen Traum aufzugeben, er zwang sich, der Nixe noch tiefer in die Augen zu sehen und gab sich alle Mühe, die ausgeprägte Fettrolle unter dem zarten, spitzen Kinn zu ignorieren, und den Schlammstreifen auf der einen Wange. Mit Händen und Füßen kämpfte er darum, den längst vergangenen Traum zurückzugewinnen, bis er schließlich ganz in jenen Knaben zurückverwandelt schien, der er einst gewesen war… und bis er wahrhaftig jene flüchtigen, fließenden Versprechungen in den grünen, grünen Blick zurückgekehrt sah. Immer tiefer beugte er sich hinab; bleiche Hände griffen herauf, und bleiche Arme schlossen sich um ihn und zogen ihn ins Wasser hinab.
    Er ertrank natürlich. Und die Wassernixe tat gelassen, was sie schon seit jeher tat. Ihr war es gleichgültig gewesen, daß er damals entkommen war, und gleichgültig war ihr jetzt auch, daß es ihn zu ihr zurück und

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