Die Fallen von Ibex
vielmehr: sie versuchte zu kreischen, aber der erste Laut blieb ihr bereits in der Kehle stecken und gurgelte nur als schwaches Flüstern hervor.
Die Heilung war schnell beendet. Aleytys kam sich wie jemand vor, der kleine Kinder verprügelte, und erhob sich steif; sie starrte auf die zerbrechliche, lang ausgestreckte Gestalt hinab. Der durchnäßte weiße Stoff klebte an den stockdünnen Gliedmaßen ihres Körpers. Honigfarbene Haare, mit schwarzen Strähnen gestreift, bedeckten den Schädel in einem flaumigen Bewuchs. Die Feuchtigkeit hatte die Stoppeln zu engen Locken gekräuselt, so daß es aussah, als sei sie wieder rasiert worden, die unregelmäßigen dunklen Linien wie ein unentschlossen ausgeführtes Muster, das durch den dunkelblonden Untergrund verlief. Sie lag völlig reglos da.
Aleytys stieß die Luft aus. „Für den Augenblick ist das Fieber weg”, sagte sie ruhig. „Du warst nahe dran, im eigenen Saft geschmort zu werden… Hast du eine Ahnung, was für ein elender Tod das ist?” Sie seufzte wieder. „Wenn du nur zuhören würdest… Ich komme nicht zu dir durch, was?” Sie zögerte noch einen Moment, dann ging sie. Unter den Bäumen blickte sie sich ein letztes Mal um. Die Zel hatte sich nicht bewegt.
Zehnter Tag
Die Tage verfielen in Routine, waren geschäftig genug und gekennzeichnet von der Plackerei, am Leben zu bleiben, jedoch monoton: das Einholen der Seegrassträhnen, das Abpflücken der Schalentiere, das Kochen der Beute, das Aufhängen der grünen Stränge zum Trocknen (Futter für die Gyori), das Angeln, das Reparieren der Netze, das Kochen, das Betreiben des Destillierapparats, das Durchsehen der Ausrüstung, deren Reinigung, und - in einer von Wakiiles Fischhäuten, die über ein Astgestell gezogen und so in eine Art Badewanne umfunktioniert worden war - die Reinigung ihrer selbst, und überhaupt das Erledigen eines Dutzends zeitraubender kleiner Aufgaben, die jedoch allesamt Geduld und Hingabe erforderten. Juli trieb sich in ihrer düsteren Wolke herum, stets auf der Hut vor Aleytys und nach wie vor nicht imstande, Shadith unbeobachtet zu lassen. Mehrere Tage nach der auferzwungenen Heilung versuchte sie zum ersten Mal wieder, mit Shadith zu sprechen; sie folgte ihr auf Schritt und Tritt, redete auf sie ein. unzusammenhängende Brocken, ein Gemurmel, das einen Großteil der Worte unverständlich werden ließ. Sie folgte Shadith und murmelte und raunte, bis es Shadith nicht mehr länger aushielt, bis sie sie anfuhr mit einer aufbrausenden Wut und sie anbrüllte, daß es über die halbe Insel hinweg zu hören war; bis sie ihr sagte, ihr sei schlecht von ihrer Dummheit, und daß sie endlich in Ruhe gelassen werden wollte, daß sie das endlich in ihren Dickschädel hineinkriegen sollte. Ihre Laska sei tot und vergangen für alle Ewigkeit, und sie, Shadith, lasse sich niemals dazu überreden, deren Platz einzunehmen. Die Zel floh vor dem Sturm dieser zornigen Stimme und ließ sich für den Rest dieses Tages nicht mehr sehen.
Vierzehnter Tag
In den auf Shadiths Gefühlsausbruch folgenden Tagen hielt sich Juli am Rand des Lagers auf, ein Schemen unter den Bäumen, der niemals ins Freie herauskam; obgleich sie das Essen und Trinken weiterhin annahm, das Linfyar ihr brachte, gelang es niemandem sonst, in ihre Nähe zu kommen. Beim geringsten Anzeichen, daß jemand in ihre Richtung kam, floh sie bereits. Aleytys beobachtete sie gekränkt und hilflos. Harskari war nervös und gereizt in den Tiefen ihres Bewußtseins. Shadith war ungeduldig mit ihr und ver
ärgert über die ganze Situation. Linfyar widerstrebte es mehr und mehr, seine Zeit damit zu verschwenden, die Zel zum Essen zu bewegen. Und Wakille beobachtete das Drama, das sich da vor seinen Augen entwickelte, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, seine Belustigung zu verbergen. Langsam fühlte sich Aleytys, als würden Ameisen unter ihrer Haut krabbeln. Sehr geschäftige Ameisen.
Tag häufte sich auf Tag. Die Insel schaukelte gleichmäßig unter einem leeren Himmel dahin, die Luft ringsum war still und heiß, und sie wurde stiller und heißer, je weiter sie nach Süden kamen.
Aleytys saß mit der auf ihrem Schoß ausgebreiteten Karte da, betrachtete die darauf vorgenommenen Markierungen, vierzehn insgesamt; vierzehn lange Tage. Dreißig bis fünfunddreißig Kilometer pro Tag. Fast fünfhundert Kilometer der Überfahrt lagen somit hinter ihnen, und noch mehr als zweitausend vor ihnen. Seltsam fern hörte sie Shadith und Linfyar
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