Die Fallen von Ibex
gemeinsam pfeifen. Sie faltete die Karte zusammen und ging den sanften Hügelhang hinab und zum Lager zurück, wo sie die Karte endgültig wegsteckte. Sie traf Wakille bei den Vorräten; er hantierte damit herum, fummelte hier und da und summte vor sich hin. Als sie auf die Lichtung herauskam, sah er auf, hob eine seiner pelzigen Augenbrauen, sagte jedoch nichts und wandte sich wieder seiner Beschäftigung zu. Sie strich über die Gürteltasche, blieb stehen und blickte sich um. Von Juli weit und breit nichts zu sehen. „Die Zel heute morgen schon gesehen?”
„Nein.” Er ging neben einem seiner Packen in die Hocke. „Seit gestern nicht.”
Aleytys ließ ihre Geistfühler über die Insel gleiten, fand jedoch nichts, nicht einmal den Hauch einer Präsenz. Sie schob eine Hand durch ihre Haare und sah sich auf der Lichtung um. Ein paar Glutstücke schillerten in dem Aschehaufen in der Backgrube, wo Knollen und Fische gemächlich schmorten. Sie bewegte die Schultern.
Mache alles nur schlimmer, sagte sie sich. Passiert jedesmal, wenn ich meine Nase hineinstecke. Sie ging schnell davon und zur Inselspitze, wo sich Juli für gewöhnlich aufhielt; und unterwegs dorthin ging sie schneller und schneller, bis sie fast rannte.
Sie brach aus dem Dickicht hervor, hielt stolpernd an, schluckte. Es war niemand da. Der Salzwassergeruch war rein und stark.
Weit draußen im Meer schnellte sich ein großer Fisch in hohem Bogen aus dem Wasser und klatschte laut wieder in die Fluten.
Seevögel zankten sich um eine Beute - einen Fleischbrocken; lie
ßen ihn abwechselnd fallen, krallten danach… bis der Brocken zerfiel. Aleytys rieb sich eine Augenbraue, legte dann die Hände um den Mund und rief Julis Namen; lauschte. Sie rechnete nicht wirklich mit einer Antwort, aber vielleicht hoffte sie, der Zel doch überraschend eine Reaktion entlocken zu können. Obwohl sie sich anstrengte , hörte und spürte sie nichts - nichts außer den Geräuschen von Wind, Wasser, Fischen, Vögeln.
Mit einem kalten Klumpen im Magen machte sie kehrt und durchstreifte den Wald von der Inselspitze bis zu deren anderen Ende. Nicht den kleinsten Fleck ließ sie ununtersucht. Sie begegnete Shadith und Linfyar, die mit den Gyori beschäftigt waren, mit ihnen herumtollten, die Knoten aus den kurzen Mähnen und den struppigen Schweifhaaren herausbürsteten und die Tiere striegelten, bis sie vor Vergnügen jauchzten. Shadith rief hinter ihr her, doch sie war zu sehr mit ihrer Suche befaßt, als daß sie mehr tun konnte, als ihr im Vorbeikommen flüchtig zuzunicken. Ihre Fragen überhörte sie. Sie ging kreuz und quer, ging jeden Zoll der Insel ab, eineinhalb Kilometer Länge, einen halben Kilometer Breite, immer wieder, die Hügelhänge hinauf, über den langen, weit auslaufenden hinteren Bereich der Insel, bis sie stehenblieb und über die hellblauen Wogen des Meeres hinwegsah - zu der blaßblauen Küstenlinie .Nahe genug, um hinschwimmen zu können, dachte sie und versuchte es sich einzureden. Nahe genug, flüsterte sie vor sich hin. Sie starrte den dicken, blauen Strich einen langen Moment an, schüttelte dann den Kopf und drehte sich um. Sie ging zur Lichtung zurück.
Shadith ließ die Gyori und Linfyar zurück und kam ihr nach.
Schließlich, als sie neben ihr ging, fragte sie: „Was ist los, Lee?”
Erschöpft wischte sich Aleytys übers Gesicht und dann über ihre Haare nach hinten. „Sie hat sich das Leben genommen… Ist hinausgeschwommen… Muß irgendwann in der letzten Nacht gewesen sein. So sinnlos.”
Shadith machte eine wegwerfende Geste. „Sie hat lange genug gebraucht, bis sie sich entschlossen hatte.”
„Shadi!”
„Hör mal! Du hast getan, was in deinen Kräften stand. Das haben wir alle.” Shadith wandte sich ab, machte ein paar Schritte und schaute über die Schulter zurück. „Schwelge darin, wenn du willst. Ich jedenfalls werde mich entspannen, jetzt, wo ich diese mürrische Schwester vom Hals habe.” Sie verschränkte die Hände auf dem Rücken, schlenderte mit übertriebener Nonchalance davon und begann ein Lied zu pfeifen, in das Linfyar sogleich einstimmte - Shadiths Trotz hatte ein Echo in ihm wachgerufen. Er fügte Obertöne hinzu, die sein Lied beinahe sichtbar werden lie
ßen, nahm Shadiths Hand und unterbrach das Pfeifen mit einem schnellen, perlenden Kichern.
Aleytys sah ihnen nach, und ihre Niedergeschlagenheit vertiefte sich. „Ay-Madar!” Langsam ging sie die Länge der Insel ab und umrundete die
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